Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 10. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Matthäus)

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10. Juni 2002 - Universitätsgottesdienst Frankfurt/Main

1. Kein Opfer mehr, keine Zöllner und Sünder

  • "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer", zitiert Jesus den Propheten Hosea. -- Wenn das Opfer, das im Tempel dargebracht wird, zur Quelle von Selbstgerechtigkeit geworden ist, dann hat es sich überflüssig gemacht. Gott im Opfer am Altar die Ehre geben, müsste sich unmittelbar auswirken in einem veränderten Verhältnis zu meinen Mitmenschen. Davon sieht Jesus Nichts bei den Pharisäern, die ihn kritisieren, weil er mit "Zöllnern und Sündern" zusammen beim Essen sitzt.
  • Das Wort Opfer hat in der Sprache Jesu nicht die doppelte Bedeutung wie im Deutschen. Jesus meint mit Opfer, das Gott im Tempel dargebrachte religiöse Opfer. In unserer Sprache hingegen wird vom Opfer meist im Sinne derer gesprochen, die nicht Täter sind, sondern eben Opfer. Man sieht sich lieber als Opfer, denn als Täter. Fataler Weise fehlt uns damit die Voraussetzung, die Tat Jesu zu verstehen, die Kritik der Pharisäer und damit den Sinn der Antwort Jesu.
  • Nicht nur das "Opfer" von dem im Evangelium die Rede ist, geben wir vor nicht mehr zu kennen, sondern auch die "Zöllner und Sünder", mit denen Jesus zum Ärger der Pharisäer zusammen ist. Offiziell gibt es die nicht mehr. Alles ist irgendwie erlaubt oder irgendwie entschuldbar. Außer ein paar ganz oben, die medial als Sünder entlarvt werden (und das manchmal sogar noch in Wählerstimmen ummünzen) gibt es bei uns keine "Sünder". Scheinbar. Wir selbst wollen Opfer sein, insbesondere die, die öffentlich zu Tätern gestempelt werden.

2. Mobbing und Ausgrenzung

  • So konsequent die Rede vom Sünder durch die Psychologie ausgemerzt wurde, so brutal wird das Ritual unter der Oberfläche betrieben. Denn durch dieselben Menschen, die vor der Hand alles für entschuldbar halten, wird unter vorgehaltener Hand gemobbt, ausgegrenzt und in die Isolation getrieben. Wo zwei versammelt sind, wird der dritte ausgegrenzt.
  • Die Gemobbten aber sehen sich nicht als Sünder, nur als Opfer. Das macht die Definition des Mobbing aus. Gleichzeitig zur allesverstehenden Ignoranz gegenüber der Sünde, werden die Menschen, die sich nicht konform verhalten, ausgegrenzt. Im Kleinen wie im Großen wird zur Rasterfahndung geblasen, um die ausfindig zu machen, die potentiell die Sicherheit der konformen Geselligkeit bedrohen.
  • "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!" Die Sünde soll benannt werden können - und dem Sünder der Weg zum Leben wieder eröffnet werden, statt ihn zum Opfer zu machen, zum Außenseiter, der in die Spirale von Isolation und Fehlverhalten eingesperrt wird.

3. Mahl mit den Sündern

  • Die "Zöllner und Sünder", in deren Haus Jesus kommt, um mit ihnen ein Mahl zu halten, pflegen nicht die Klage, sie seien nur Opfer einer Rufmordkampagne. Sie begegnen in Jesus einem Gott, der diese Mechanismen überwindet. Die Sünde nennt Jesus Sünde. Aber den Sünder schließt er nicht aus aus der Gemeinschaft, sondern kommt zu ihm, sucht Gemeinschaft mit ihm, um ihn durch seine Nähe zu heilen.
  • Längst schon wird nicht mehr im Tempel zu Jerusalem dem einen Gott das Opfer dargebracht, sondern nur noch im Tempel der Selbstgefälligkeit das Opfer den vielen Göttern der Konformität. "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!" ruft Jesus, weil Gott allein die Ehre gebührt, und Gott uns zur Umkehr ruft, um uns heilen zu können.
  • Der Gottesdienst, den wir feiern, ist Eucharistie: Das Dankes-Mahl, zu dem uns Gott um den Altar versammelt. Dies ist alles andere als religiöse Routine. Vor der Kommunion beten wir "Herr ich bin nicht würdig". Wenn uns das nicht zur hohlen Phrase verkommen ist, begreifen wir, dass in der Kommunion ein Durchbruch geschieht. Weil die Sünde benannt wird, kann sie überwunden werden. Wir können uns als Täter stellen, weil darin nicht unsere Zukunft begraben wird, sondern das Erdrückende der Vergangenheit. Wir dürfen uns der Barmherzigkeit stellen, weil darin Gemeinschaft begründet liegt mit dem einzig wahren Gott. Amen.