Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 10. Sonntag im Lesejahr C 2016 (1. Könige)

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5. Juni 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Es geht weiter

  • Da wird von jemand erzählt, der gestorben war und durch ein Wunder wieder lebendig wird. Ich versuche mir vorzustellen, was das für den Betreffenden bedeutet. Es ist ja keine Auferstehung zu ewigem Leben. Das wäre höchst vergnüglich, ist man erst einmal dort. (Jeder, der Ice Age  kennt weiß, wie missvergnügt das Rattenhörnchen Scrat ist, das schon den Nuss-Himmel gesehen hat und dann durch Reanimation in die Mühsal irdischen Daseins zurück geholt wird) Es ist auch nicht das Aufwachen als Zombie; das ist wenig erstrebenswert, weil solcherlei Zeitgenossen sehr schlechten Mundgeruch haben. In den biblischen Geschichten geht es vielmehr um ein Weiterleben in die normale Dimension von Raum und Zeit. Das Leben geht einfach noch mal weiter.
  • Ein Wunder ergibt immer nur Sinn, wenn es eine Bedeutung hat, die über die Situation hinaus weist. Zumindest nur dann hat ein Wunder etwas in der Bibel verloren. Daher frage ich nach der geistlichen Bedeutung dessen, was hier erzählt wird.
  • Da ist einer, dessen Leben am Nullpunkt angelangt war. Nicht kränkelnd, nicht schwächelnd, sondern tot. In anderem Kontext wird die Geschichte meist harmlos als Komödie erzählt, dass jemand sein Gedächtnis verloren habe und jetzt anfangen kann, das Leben neu zu entdecken und sich selbst neu zu erfinden. Doch unsre Geschichte ist keine Komödie, sondern das Drama einer Frau, die erst durch den Tod ihres Mannes zur Witwe geworden war und nun durch den Tod ihres Sohnes menschlich und wirtschaftlich vor dem Abgrund steht.

2. An der Nullinie

  • Doch bleiben wir geistlich noch einmal bei der Perspektive des Toten, der durch die Begegnung mit dem Gottesmann wieder eine Lebensperspektive bekommt. Man darf so etwas durchaus auch metaphorisch lesen. Dann finde ich hier die Erfahrung dessen, dem alles Vertraute genommen wurde oder der in einem neuen Land neu anfangen muss oder darf - je nachdem.
    Ich habe das selbst nicht erlebt und kann nur ahnen, welche Kraft es kostet, bei Null neu anfangen zu müssen. Für nicht wenige aus unserer Gemeinde ist das hingegen eine zentrale Erfahrung ihres Lebens. Vielleicht würde mancher von ihnen sagen, es sei daneben und darüber auch die Gnade neu anfangen zu dürfen, der Perspektivlosigkeit entronnen zu sein.
  • Ich finde darin auch etwas von der Erfahrung der Kirche in Deutschland. Wir haben die absolute Nulllinie nicht erreicht. Aber in zentralen Bereichen müssen Christen erleben, wie Alles zu Ende geht, ihre Kirche geschlossen wird, ihr Verein völlig überaltert absehbar zu Ende geht, eine Ordensgemeinschaft ausstirbt oder ein Bistum Jahre erlebt, in denen es keine einzige Priesterweihe gibt.
  • So lange der absolute Nullpunkt noch nicht erreicht ist, wird mit aller Kraft und oft bewundernswert versucht, den Mangel zu verwalten und die Lücken zu stopfen. Je näher wir aber der Null kommen, desto betörender werden die Romantiker, die die Vergangenheit verklären, ohne irgend eine Antwort für die Zukunft zu haben. Dann gibt es noch die, die sich eine kleine heile Welt irgendwo in einer Ecke mit viel Weihrauch und mit Klerikern im Spitzenhemdchen suchen, mental die Schotten dicht machen und darüber vergessen, worum es ursprünglich eigentlich ging. Evangelisch gibt es das genauso, nur in anderen Ausformungen. Gemeinsam ist den großen deutschen Kirchen, dass sie sich mit viel Institution und Geld immer wieder vertrösten. Aber zumindest spirituell dürfen wir einmal die Nulllinie in den Blick nehmen und fragen: Was dann?

3. In's Leben gerufen

  • Natürlich gibt es letztlich so eine absolute Nulllinie nicht. Aber ich merke, dass dieser Punkt, an dem das Alte nicht mehr funktioniert, wo es nicht mehr hilft, letzte Energie in die letzten Millimeter zu stecken, einen Geschmack von Freiheit hat. An der Nulllinie ist das Rumwurschteln vorbei. Wir können uns fragen, was wir eigentlich ursprünglich wollten. Es könnte sein, dass dieser Punkt sich als eine besondere Gnade erweist. Wo, wenn nicht hier, am Anfang, hat die Frage nach der Gegenwart Gottes und seinem Heiligen Geist Platz.
  • Und da erinnere ich mich, worum es in dem Wunder der Erweckung des Jünglings eigentlich ging. Es ging nämlich gar nicht um ihn, sondern darum, was er für eine andern bedeutet. Die Bibel erzählt, dass der Gottesmann einer Witwe Lebensperspektive zurück gab, indem er Gottes Lebensatem an das Kind zurück gibt. Dabei hatte die Witwe eigentlich den Verdacht, dass der Elija die Wurzel des Unglücks ist. Denn stand nicht der Prophet selbst am Nullpunkt? Musste er nicht nach Sarepta fliehen, weil er am Hof in Jerusalem um sein Leben fürchten musste? Die ganze Erzählung um Elija und die Witwe kommt immer wieder auf diesen Null-Punkt (1 Kön 17,12: "Ich habe nichts mehr vorrätig als eine Hand voll Mehl ....Das wollen wir noch essen und dann sterben."). Und jedes Mal ist die Wende damit verbunden, dass dort ein Sein für andere auch das Sein für sich selbst ermöglicht.
  • Wenn ich immer nur dort weiter mache, wo ich aufgehört habe, wird es mit aller Wahrscheinlichkeit nur um mich selbst gehen. Wenn wir bei der Frage nach der Zukunft der Kirche nur nach uns selber fragen, werden wir notwendig scheitern. Wo wir uns aber durch Gottes Geist berühren lassen und uns fragen lassen wofür und für wen uns Gott berufen hat, dann könnte es durchaus sein, dass Gottes Kraft in's Leben ruft, wo nach Menschenart alles am Ende schien. Amen.