Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 17. Sonntag im Lesejahr A 2014 (1 Könige)

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27. Juli 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Ziele

  • Alles verkaufen, um die eine wirklich wertvolle Perle kaufen zu können. Jesus nimmt ein Bild aus der Welt der Kaufleute. Gleichzeitig sprengt er das vernünftige Kaufmannsdenken, denn kein ehrbarer Kaufmann sollte das Vermögen einem solchen Risiko aussetzten. Dennoch, so meint Jesus, hilft das Gleichnis zu verstehen, wie es ist, wenn Gottes Wirklichkeit in unsere Welt einbricht: "Mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie."
  • Im Kontrast dazu steht König Salomo. Eintausend Jahre früher, einem Mann in jungen Jahren, nicht ohne eigenes Zutun zum König über ganz Israel gesalbt, stellt Gott eine Bitte frei. Und Salomo bittet ganz pragmatisch um die Fähigkeit, gut regieren und das Volk leiten zu können. Diese Bitte würde auch dem ehrbaren Kaufmann gefallen. Vor allem aber findet diese Bitte im Angesicht Gottes ihre Berechtigung.
  • Man sollte nicht versuchen, Jesus gegen Salomo auszuspielen. Den Spannungsbogen, den die beiden Lesungen öffnen, würde ich lieber versuchen auszuhalten. Er kann für ein Leben aus dem Glauben zentral und fruchtbar sein. Auf der einen Seite die Erfahrung, dass Gott nur dann erfahrbar wird, wenn das Rechnen und Berechnen zurückbleibt und wir uns fordern und begeistern lassen. Auf der anderen Seite Salomo, der der Inbegriff eines weisen und gerechten Herrschers geworden ist, der nur das eine von Gott erbittet: Ein "hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht".

2. Herz

  • Mit Herz bezeichnet die Bibel die Mitte und das Ganze des Menschen. Heutzutage steht das Herz meist eher einseitig für das Gefühl und die emotionale Seite. Salomo hingegen meinte vor dreitausend Jahren mindestens so sehr die praktische Klugheit und ein gradliniges Gewissen, wie die Fähigkeit sich von einem Menschen und seiner Situation anrühren oder gar erschüttern zu lassen. Beides gehört für ihn zusammen.
  • Dem entspricht die Erfahrung christlicher Mystik. Auf der einen Seite gibt es - selten zwar, aber gut und glaubwürdig bezeugt - die Erfahrung, unmittelbar und vor aller sprachlichen Differenzierung von Gott ergriffen zu werden, so wie es die Apostelgeschichte von Paulus vor Damaskus berichtet, dass ihn das Licht Christi buchstäblich aus dem Sattel wirft; dies ist unmittelbare, die Beleuchtung der ganzen Lebensszenerie verändernde Glaubenserfahrung.
    Auf der anderen Seite gibt es den nüchternen, alle Aspekte bedenkenden und zu Entscheidungen befähigenden Einsatz des vernünftigen Denkens, das - so vorhanden - nicht minder eine Gabe Gottes ist. 'Kopf und Bauch', würden wir heute sagen.
    Die Spannbreite der beiden Bibellesungen berechtigt uns, beides stehen zu lassen als Haltungen des Glaubens, Orte des Handelnden Gottes und legitime christliche Weisen, Gottes Willen im eigenen Leben zu erfahren.
  • Ignatius von Loyola spricht in den Exerzitien von der ersten und der dritten "Wahlzeit": Sowohl die Zeiten völliger emotionaler Überwältigung durch Gottes Gegenwart, als auch die Zeiten nüchternen Abwägens und Nachdenkens sind für Christen Zeiten, in denen wir nach Gottes Willen fragen, um wählen zu können, was zu mehr Glaube, Hoffnung, Liebe und Gerechtigkeit führt.
    Dazwischen sieht Ignatius die zweite Wahlzeit, die Zeit der Erwägungen und Entscheidungen, an denen Kopf und Bauch gleichermaßen beteiligt sind. Diese Entscheidungen entsprechen am ehesten dem, was Salomo mit "Herz" meint. Die zweite Wahlzeit, die Wahlzeit des Herzens, setzt voraus, dass wir im emotionalen Gedächtnis - dem Bauchgefühl - viel Vertrautheit mit den typischen Wegen Gottes abgespeichert haben; ohne regelmäßiges Hören auf die Bibel geht das nicht. Die zweite Wahlzeit setzt weiters voraus, dass wir in unserem Denken, im Kopf, nicht durch völlig ungeordnete Interessen und Triebe so beeinflusst sind, dass wir nicht frei wären, die anstehenden Entscheidungen vernünftig zu durchdenken. Und vor allem setzt die zweite Wahlzeit voraus, dass in diesem Spannungsbereich von Kopf und Bauch, in der Mitte des menschlichen Herzens also, Gott uns seinen Willen und sich selbst zu erkennen gibt.
    Zumindest von außen gesehen, manchmal auch für die Betroffenen selbst, scheinen reine Bauch- oder reine Kopfentscheidungen eindeutiger zu sein, als die abwägende Bewegung der Gedanken und Gefühle. Die Entscheidungen, die in der Mitte des Herzens unter Einbeziehung sowohl des Bauches wie des Kopfes nach dem Willen Gottes fragen, brauchen in jedem Fall ein feines Instrumentarium, um unterscheiden zu können, welche Regung des Herzens von Gott stammen mag, und welche nicht.

3. Gehorsam

  • Es braucht Erfahrung, um die Bewegungen des Herzens wach wahrnehmen zu können und ein Gespür dafür zu bekommen, was zu einer tieferen Beziehung zu Gott, dem Nächsten und mir selbst führt, und was eher davon wegführt. Unterscheidung der Geister nennt der Hl. Paulus und mit ihm der Hl. Ignatius diese geistliche Kunst. Exerzitien sind Zeiten der Einübung in diese Kunst. Das wäre ein Thema für sich.
  • Die Bitte des Salomo macht aber auf einen Aspekt aufmerksam, der bei jeder geistlichen Unterscheidung im Glauben mitschwingt, wenn es denn mehr sein soll, als nur Wunschdenken und Wunschbefriedigung. Salomo bittet um ein "hörendes Herz". Das Hören-Können ist ihm dabei ein zentrales Merkmal jeder Weisheit. Wer dies nicht kann bleibt sich selbst ausgeliefert und wird paradoxer Weise dadurch, dass er den eigenen momentanen Wünschen und Bedürfnissen nacheilt, sich selbst und das Ziel seines Lebens verpassen.
    Dagegen ist die Verheißung des Glaubens und der Bibel, dass wir im Gehorsam gegenüber Gott uns selbst gewinnen. Die Sprache bewahrt die Erinnerung an diesen Zusammenhang, weil sich Gehorsam von Hören und Vernunft von Vernehmen ableitet.
    Der Gehorsam ist zuerst eine Grundhaltung, nicht die Erfüllung angeblich immer schon klarer und für jede Situation passender Gebote; das wäre bequemer, denkfauler Fundamentalismus. Die Grundhaltung des Gehorsams hingegen geht nicht auf das Abhaken von Forderungen, sondern bleibt hartnäckig dabei, nach Gott zu fragen, nach ihm zu suchen, mit ihm zu ringen und mit Salomo um ein hörendes Herz zu bitten.
  • Sowohl im Alten wie im Neuen Testament ist die erste Form des Gehorsams gegenüber Gott das Hören auf die Not des Armen. Alles Ringen um Gehorsam im Gebet und auch der Gehorsam im Kontext der Kirche oder einer Ordensgemeinschaft ist Einübung darin, frei zu werden von den eigenen Phantasien der Selbstverliebtheit und auch der Befreiung von der Angst darum, nicht zu kurz zu kommen - bereit zur liebenden Wahrnehmung des Anderen. Für die Bibel ist das ein so hoher Wert, dass es sich lohnt, alles andere dranzugeben, um diese eine Perle des Glaubens zu gewinnen. Amen.