Predigt 2. Adventssonntag Lesejahr C 2006 (Lukas)
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10. Dezember 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt
1. Was hören die Propheten?
- Woher mag Johannes das wissen? Wie das bei Propheten so üblich ist,
verkündigt auch der Täufer Johannes: dies und das sagt Gott, dies
und das wird geschehen. Es ist ja nicht so, dass ich ihm widersprechen wollen
würde. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ich der einzige bin,
den es interessiert zu wissen, woher er das alles hat. Vielleicht stellen
wir manche Fragen nicht, aus Sorge eh keine gescheite Antwort zu finden.
- Nehmen wir den Text des heutigen Evangeliums. Da heißt es, dass das
Wort Gottes an Johannes erging, dass Johannes daraufhin "Umkehr und Taufe
zur Vergebung der Sünden" predigte. Und da ist ein Zitat aus dem Buch
des Propheten Jesaja, das sich dies durch das Predigen des Johannes "erfüllt"
habe. So weit die schriftliche Fassung, die ja kein Stenobericht live vom Schauplatz
ist, sondern eine komprimierte Zusammenfassung. Aber hier - wie bei Propheten
generell - frage ich mich, wie "das Wort Gottes" an Propheten ergeht.
Lässt Gott Schallwellen aus dem Nichts entstehen, die der Prophet hört?
Möglich wär's; bei Gott ist alles möglich. Vor allem wäre
das eine beruhigende Antwort, über der wir zur Tagesordnung übergehen
könnten.
- Der Kommunikationsvorgang zwischen Gott und seinen Propheten ist aber vielleicht
doch anders. Das interessiert mich, weil mir - wie uns allen - bei der Taufe
gesagt wurde: "Du bist Glied des Volkes Gottes und gehörst für
immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in
Ewigkeit." (Taufliturgie). Jesus selbst also ist ein Prophet in der
Tradition der Propheten und ich selbst bin durch die Taufe da hinein verwoben.
2. Was kann der SohnGottes wissen?
- Wir sollen uns im Advent vorbereiten auf das Fest der Geburt dieses Propheten,
von dem wir bekennen, dass ihn ihm Gott selbst Mensch geworden ist. Es ist nicht
respektlos, hier nach Details zu fragen, denn schließlich heißt
es im Credo nicht nur "wahrer Gott", sondern auch "wahrer Mensch".
Woher also wusste Jesus, was Gott "sagt"? Auch wenn die Neurowissenschaften
genau genommen noch nicht viel über das Wissen wissen, ist doch klar, dass
Denkvorgänge sich durch chemische und physikalische Prozesse abbilden.
Wenn der Prophet etwas weiß, dann muss das in Synapsenschaltungen oder
so im Gehirn da sein.
- Vielleicht hat man sich früher vorgestellt, Jesus habe alles gewusst;
womöglich von Geburt an seien alle Informationen des Universums bereits
in seinem Kopf gespeichert, und nur aus Rücksicht auf das begrenzte Fassungsvermögen
seiner Zeitgenossen habe er die Relativitätstheorie (so sie denn stimmt)
für sich behalten. Das aber ist nicht nur Unsinn. Es ist auch häretisch.
Denn, er war "wahrer Mensch", hat also auch gelernt, wie Menschen lernen, und
ist nicht mit vorprogrammiertem Brockhaus im Gehirn geboren worden.
- Das bedeutet, auch ein Prophet, auch der Sohn Gottes, wusste nur, was man
als Mensch wissen kann. Wir feiern an Weihnachten nicht die Geburt eines Superhirns
aus einem Marvel-Comic.
Das Besondere auch an einem Propheten wächst. Er lernt von seinen Eltern,
aus seiner Kultur und seiner Umgebung. Und auch dieses Volk hat über die
Jahrhunderte gelernt, Erfahrungen gemacht und sie gedeutet. Deswegen braucht
es die lange Geschichte Israels, eines Volkes und seiner Propheten, bevor Gott
sich in der Fülle der Zeiten offenbaren kann in seinem Sohn (vgl. Hebr
1,2)
3. Wie spricht Gott zum Menschen?
- Das ist aber nicht alles. Irgendwann stellt sich die Gretchen-Frage. Entweder
verstehe ich die gesamte Entstehung des biblischen Glaubens als einen Prozess,
der sich komplett einander erklärenden Ursachen verdankt, oder ich glaube,
dass Gott eine Wirkursache innerhalb der Kausalitätskette dieser Welt ist.
Auch wenn wir im Bereich der Elementarphysik oder der Bewusstseinsforschung
an Grenzen klassischer Kausalitätsvorstellungen kommen, bleibt doch das
Grundproblem. Ohne ein 'Hineinwirken' Gottes in die Welt ist Prophetie nur das
Ergebnis intensiven Nachdenkens, fleißigen Forschens und freier Entscheidung
des Propheten. Das gilt dann auch für Jesus Christus. Wenn ich aber das
Wunder für möglich halte, dass Gott in Unterbrechung dieser Wirkkette
in diese Welt eingreift, dann ist auch denkbar, dass Propheten auf Veranlassung
Gottes sprechen.
- Ich glaube, dass dies der Fall ist. Allerdings tut Gott dies nicht an der
menschlichen Freiheit vorbei. Gott erzeugt nicht Schallwellen, dass sein Wort
gehört werde. Vielmehr berührt er das menschliche Denken, das sich
ihm öffnet. Ich stelle mir das analog zu anderen exzeptionellen Erfahrungen
vor. So sind zahlreiche Fälle belegt von Müttern, die während
des Zweiten Weltkrieges exakt zu dem Zeitpunkt, an dem ihr Sohn im Krieg gefallen
ist, eben dies hunderte Kilometer entfernt wussten und dokumentiert sagten.
Der Vergleich macht deutlich: Eine solche Berührung des Geistes ist möglich
und es ist keine beliebige geistige Erkenntnis, sondern aus einer intensiven
Beziehung geboren.
- Propheten sind deswegen immer betende Menschen. Sie leben aus der Beziehung
zu Gott und sind deswegen für seine Mitteilung empfänglich. Zugleich
sind sie Menschen, die ihren Eingebungen gegenüber einen kritischen Maßstab
haben, indem sie sich in die Tradition der Glaubenserfahrungen anderer Menschen
stellen. Deswegen hat Lukas recht, wenn er den Täufer Johannes einführt
mit einem Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja. Und solch einen Propheten
erwarten wir auch ein Weihnachten. Wir glauben und bekennen, dass der da kommen
wird, wahrer Mensch ist, aber als Sohn des jüdischen Volkes gelernt hat,
die 'Stimme' seines himmlischen Vaters zu vernehmen, in tiefem und ständigen
Gebet aus der Beziehung zu diesem Vater zu leben, und in einzigartiger Weise
ganz aus dem Vater zu sein. Deswegen, weil Jesus als Mensch geboren wurde, gibt
er auch uns einen Weg, mit ihm zum Vater zu kommen: im 'Hören' auf sein
Wort: im hörenden Gebet. Amen.