Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 20. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Jesaja)

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20. August 2023 - St. Sebastianus, Sinzig - Bad Bodendorf

1. Verstörende Zurückweisung

  • [Schon früh gehörten zu den Christen Gläubige aus anderen Völkern; nur die allerersten stammten wie Jesus alle aus dem Volk Israel. Unser Neues Testament ist die Sammlung der Berichte und Zeugnisse, die damals wie heute im Gottesdienst gelesen wurden. Deswegen war der heutige Text in den Ohren von Nicht-Juden bemerkenswert.
  • Jesus befand sich im Gebiet des heutigen südlichen Libanon. Eine Frau bittet Jesus voll Glauben um eine Heilung. Jesus verweigert dies: seine Sendung und seine Wunder gälten dem Volk Israel. Nur diesem. Erst die Hartnäckigkeit der Frau (und die Unzufriedenheit der Jünger, die sich dadurch bedrängt fühlen) lässt Jesus einlenken. Aber er hat keinen Zweifel am Kern seiner Sendung gelassen. Gott ist genau dafür Mensch geworden: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt."
  • Deswegen ist es wichtig zu ergänzen:] Die besondere Fürsorge Gottes für die Fremden in der Mitte des Volkes Israel gehört zum Kernbestand des biblischen Glaubens. Auch für Jesus war damit klar, dass gilt, was im Gesetz des Mose steht: "Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid im Land Ägypten Fremde gewesen." (Gen 22,20, vgl. 23,9). Das Gesetz Gottes für Israel und damit sein Bund gilt immer auch für die Fremden: "Für Einheimische und für Fremde, die bei euch leben, gilt die gleiche Weisung." (Ex 12,49). Wenn Jesus seine Sendung daher so explizit auf Israel beschränkt sieht, dann hat das andere Gründe. Daher ein Blick auf die Erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja.

 2. Denkmal im Haus Gottes

  • Im Namen Gottes spricht der Prophet zum Volk Israel und den Regierenden: "Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit!" Und dann wird deutlich, dass genau von dem die Rede ist: Gottes Bund, seine Gerechtigkeit und seine Gesetze gelten immer allen, die im Heiligen Land leben. Gott nimmt die Fremden hinein in diesen Bund.
  • Unsere Leseordnung hat aber den Jesaja-Text gekürzt wiedergegeben – wohl, um unsere katholische Gemeinde nicht zu überfordern und um sich auf das Thema "Fremde" zu konzentrieren. In der Auslassung geht es nicht um Fremde, sondern um Eunuchen, Männer, die verschnitten und entmannt worden waren, um zeugungsunfähig zu sein. Sie werden hervorgehoben und den Fremden gleichgestellt.
  • Ausdrücklich heißt es: "Den Eunuchen, die (...) an meinem Bund festhalten, gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern Denkmal und Namen. Das ist mehr wert als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich einem jeden".
  • Als Eunuchen wurden Männer verstümmelt, damit sie nicht gefährlich werden. Denn in der damaligen Kultur hat man alles für die "Söhne und Töchter" gemacht. Gerade am Königshof wollten die Mächtigen daher nur Kämmerer sehen, für die diese Perspektive abgeschnitten ist. Es waren Menschen ohne Zukunft. Auch Sklaven wurden im Orient bis vor gar nicht allzu langer Zeit kastriert. Ob das bei Jesaja mit gemeint ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur: Diesen Männern, deren Namen unter den Menschen alle Zukunft brutal genommen wurde gilt das Wort: Ich, Gott selbst, gebe euch einen Namen, einem jeden von euch, und nicht nur für einige Generationen, sondern ewig. "In meinem Haus", spricht Gott, stelle ich jedem von ihnen ein Denkmal auf.

3. Heldendenkmäler Gottes und der Menschen

  • Dem Tempel Gottes unter den Menschen entspricht also ein Tempel und Denkmal von Menschen in den Mauern der himmlischen Stadt. Dass der Prophet dies laut verkündet, geschieht als ausgleichende Gerechtigkeit für die, die unter den Menschen vergessen sind. Absichtlich vergessen wurden!
  • Ist das irrelevant und aus längst vergangenen Zeiten? Ich versuche eine Aktualisierung: In den meisten Orten in Deutschland stehen Denkmäler, manchmal betitelt, zum Gedenken an "die Gefallenen" nur selten an die "Opfer der Gewaltherrschaft". Doch allermeist stehen dann dort doch nur die Namen derer, die angeblich "für Volk und Vaterland" gefallen sind, die in einen Angriffskrieg geschickt worden und deren erbärmlichen Tod die Propaganda umdeutet – bis heute.
    Das Denkmal hier vor der Kirche wurde vor bereits Jahrzehnten erneuert und der Stein mahnt heute: "Gedenket unserer Opfer der Weltkriege und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft". Bodendorf steht - soweitich das sehe - damit unter ganz wenigen, die das damals und leider sogar auch noch heute gemacht haben. Hinzu kommen hier unten an der Ahr die vielen Toten des alliierten Kriegsgefangenenlagers. Andernorts, mehrfach in der näheren Umgebung jedoch steht immer noch das Wort von den gefallenen Helden.
    Ich weiß es nicht: Stehen hier draußen vor unserer Kirche in Stein gemeißelt auch die Namen derer, die den Mut hatten zu desertieren und dafür staatlich ermordet wurden? Es gibt im Ort hier Stoplersteine für Rosa und Bernhard Gottschalk die in Treblinka ermordet wurden; die beiden sind auch 1972 auf der Tafel mit den Namen aller Opfer der NS-Zeit integriert. Das ist großartig. Aber gab es auch Zwangsarbeiter, die hier zu Tode kamen?
    An zu vielen anderen Orten in Deutschland und Europa fehlt das Gedenken: An die in den KZs Ermordeten, an die Kriegsverweigerer, an die zwangsweise (oft aus der Ukraine) Verschleppten, an die Widerständler. Die Denkmäler kennen dort nur die Helden.
    Doch, "in meinem Haus", spricht Gott, stelle ich jedem von ihnen ein Denkmal auf.
  • Und dann sind auch unter uns nicht wenige, die durch erlittene Gewalt schon in der Kindheit und Jugend eine Last mit sich tragen, die ihnen die Hoffnung auf Zukunft zu blockieren vermag. Der Mühlstein mit ihren Namen fehlt unter den Denkmälern. Dabei hat sich genau hier auch Gottes Verheißung erfüllt: Steht nicht das Zeichen des Kreuzes in der Mitte unserer Kirche. Das Kreuz war gedacht, um Menschen final aus der Gemeinschaft und dem Gedächtnis zu streichen. Auch die Erinnerung an Sebastian könnte in diese Reihe gehören. Wir als Kirche haben nur zu oft darauf vergessen und haben das Kreuz und die Märtyrer in unsere Welt der Helden integriert und ihr Leid unsichbar gemacht.
  • Es gibt die andere Wirklichkeit, die Wirklichkeit Gottes. Es gibt die Gegenwelt Gottes. Darauf zu verweisen ist keine Vertröstung, sondern echter Trost und wichtiger Zuspruch. In Gottes Haus gelten andere Regeln. Propheten haben die Aufgabe, das zu verkünden. Dass Jesaja den Fremden – die oft genug ja auch keine Zukunft im Land haben – die Eunuchen zur Seite stellt, macht so überdeutlich worum es geht. Denen, die kinderlos geblieben sind, denen deren Namen unter Menschen vergessen wird, denen stellt Gott ein Denkmal auf in seinem Haus und seinen Mauern. Alle sind wertvoll, alle haben in Gott Zukunft und Gedenken. Auch die, die heute hier sind, und die ich übersehen und vergessen habe. Gott vergisst dich nicht.
  • [Und Jesus? Die Jesaja-Lesung macht deutlich, dass Gott eine Dependance auf Erden hat: Sein Tempel auf dem Zion in Jerusalem, sein Volk, dem Gottes Gesetz anvertraut ist. Dies zu erneuern ist die zentrale Sendung, der sich Jesus verpflichtet weiß. Dass dort den Eunuchen und Fremden ein Platz gegeben wird, setzt voraus, dass die Botschaft der Propheten neu gehört wird. Deswegen haben die frühen Christen, auch wenn sie nicht Juden waren, am Alten Testament und daran festgehalten: Gottes Liebe gilt unverbrüchlich seinem Volk. Dieses Volk ist Gottes Tempel in der Geschichte. Und nur in dieser Liebe haben auch wir aus den Völkern, haben die Fremden, eine Zukunft – wie auch die Eunuchen.
  • Ein letzte Hinweis: Es gibt einige Ansätze, die sich im Neuen Testament widerspiegeln, das Verhältnis Israels zu den  anderen Völkern – den Heiden – heils-theologisch zu deuten. In der Zweiten Lesung findet sich ein Satz, den Paulus im Römerbrief ausführlich behandelt: Der "Erfolg" des Evangeliums unter den anderen Völkern hat – aus der Perspektive Gottes – seine Liebe zu Israel im Blick. Daher in der Sprache der Liebenden: Gott will Israel "eifersüchtig machen", indem er seinen Geist auch den Heiden schenkt.]