Predigt zum 22. Sonntag im Lesejahr C 2007 (Lukas)
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2. September 2007 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt
1. Jesus belauern
- Sie belauerten Jesus. "Als er an einem Sabbat in das Haus
eines führenden
Pharisäers zum Essen kam, beobachtete man ihn genau." Man - das
sind die vornehmen Leute, die nach dem Gottesdienst mit eingeladen
sind zu
dem Essen, das für den Wanderrabbi Jesus ausgerichtet wird. Die
führenden
Leute am Ort sind dabei. Sie "belauern" Jesus (so kann man
treffend
übersetzen).
- Was könnten sie Besseres tun, als Jesus zu belauern? 'Großartig',
möchte man rufen und ihnen gratulieren. Wenn es darum geht zu sehen,
wie Glück und Leben zu finden sei, kann einem nichts Besseres
einfallen,
als voll Aufmerksamkeit darauf zu lauern, wie Gott selbst lebt, als
Mensch
unter Menschen. 'Seid wach und aufmerksam', mag man ihnen zurufen,
'denn Gottes
Sohn ist bei euch zu Gast!'
- Es gibt aber zweierlei Aufmerksamkeit. Die eine geschieht von der
festen
Warte der eigenen Überlegenheit aus. Sie ist gebaut wie eine Burg,
groß
und stolz, die Brücken hochgelassen, die Tore verschlossen. Von der
Zinne
aus wird aufmerksam die Umgebung belauert, um die anderen da unten
bei einer
Schwäche zu ertappen ('Mal sehn, ob er den Sabbat bricht und gegen
das
Sabbatgebot ein Wunderdoktording durchzieht....'). Die andere
Aufmerksamkeit
ist umgekehrt: sie hat die Tore weit offen und freut sich über
alles,
was Wertvolles durch sie hindurch ziehen mag. Diese Aufmerksamkeit
dünkt
sich nie am Ende aller Weisheit, sondern ist offen für einen neuen
Weg.
So hätten die führenden Leute Jesus belauern sollen: in Demut.
2. In der Wahrheit leben
- Demut ist die Freiheit, sagen zu können, wenn der Kaiser nackt
ist.
Bekanntlich hatte nur ein Kind diese Freiheit. Als ich vor Jahren
mit dem
Nachtzug von Leipzig nach Hause gefahren bin, teilte ich mir das
Abteil mit
einem Schreiner. Der hatte gerade in Tag- und Nachtschichten am
Innenausbau
des neuen Hauptbahnhofs dort gearbeitet. Alles sollte perfekt
aussehen, wenn
am nächsten Tag der Bundeskanzler zur Einweihung käme. Die Woche
drauf würde er zurück kommen und alles wieder herausreißen,
denn es war nur Fassade, um fristgerecht etwas vorweisen zu können
für
den hohen Besuch. Bis der Innenausbau des Vorzeigebahnhofs der neuen
Bahn
AG wirklich fertig wäre, war noch viel Arbeit zu tun.
- Um nicht das Gesicht zu verlieren, war eine Fassade errichtet
worden. Lieber
hinterher wieder abreißen, als einzugestehen, dass man nicht fertig
geworden ist. So muss man entscheiden, um in der oberen Liga
mitzuspielen.
Auch wenn der Fassadenbau Kraft kostet, im Kleinen wie im Großen,
läuft
das Spiel nun mal so. Wer ist schon frei, aus dem Spiel
auszusteigen? Wer
ist frei genug, zur Wahrheit zu stehen? Wer hat die Demut?
- "Demut ist, in der Wahrheit zu wandeln" (Theresa von Avila1).
Diese Niedrigkeit ist Größe. Die scheinbare Größe jedoch
ist Fassade. Deswegen liebt Jesus die Demut, denn es ist ihm um die
Größe
und Freiheit des Menschen zu tun. Demut bedeutet in der Wahrheit zu
leben.
Die Summe der Wahrheit aber ist Gott. In ihm liegt die Wahrheit von
jedem
einzelnen Menschen. Deswegen war Jesus demütig nicht zum Schein.
Gott
hat sich in seiner Liebe ganz seiner Gottheit beraubt. Unter den
Vornehmen
und Ersten war er fehl am Platz, weil er sich nicht verstellen kann.
Er hat
sich mit den Letzten abgegeben und wurde einer von ihnen. Gottes
Wahrheit
ist seine Demut. Gottes Größe ist seine Liebe. Nicht zum Schein
liebt uns Gott, sondern er schenkt sich wirklich. Auf dem letzten
Platz kommt
er zu sitzen.
3. Unbescheiden bis zur Demut
- Die praktischen Regeln nimmt Jesus zum "Gleichnis". Wenn
du eingeladen
bist, setze dich lieber auf einen unteren Platz, damit du nicht,
wenn ein
anderer kommt, nach unten degradiert wirst. Diese Regel war bekannt.
Sie steht
schon im Alten Testament (Spr 25,6f: "Rühme dich nicht vor dem
König,
und stell dich nicht an den Platz der Großen; denn besser, man sagt
zu dir: Rück hier herauf, als dass man dich nach unten setzt wegen
eines
Vornehmen.") Hier aber wird die praktische Alltagsregel zum
Gleichnis
dafür, wie unser Leben als Ganzes gelingen kann. Denn wir sind in
der
Tat "zur Hochzeit eingeladen". Gott lädt uns ein, unser
Leben
mit seinem Leben zu verbinden. Hier, im Alltag, und dort in der
Fülle
seiner Wirklichkeit und Liebe.
- Seid unbescheiden bis zur Demut. Bescheidet euch nicht mit Plätzen
an der Seite von Königen, die in Wahrheit nackt sind. Bescheidet
euch
nicht mit Palästen, in denen letztlich alles nur Fassade ist. Seid
unbescheiden
und geht nichts weniger als den Weg Gottes, der Fülle der
Herrlichkeit,
der Fülle des Lebens, der Fülle der Liebe. Diese Vision steckt im
Evangelium.
- "Wer sich selbst erhöht", lebt zum Schein. Er wird viel
Kraft
verbrauchen und wenig Liebe finden. Er wird Anerkennung finden, so
lang die
Fassade hält, und einsam sein, wenn der Putz bröckelt. "Wer
sich selbst erniedrigt", wird feststellen, in welche Freiheit
das führt.
Nicht zum Schein sollen wir buckeln. Das ist keine Demut. Vielmehr
ist Gott
wahrhaft Mensch geworden; uns zur Seite hat Jesus sich in die Hände
der
Liebe Gottes, des Vaters, fallen gelassen. Mit nichts Geringerem
müssen
wir uns begnügen. Wer sich niedrig macht, um an der Seite von
Niedrigen
zu sitzen, wird vielleicht von den Vornehmen und Mächtigen dieser
Welt
als unwürdig belächelt und gemieden. Das Lächeln aber ist ganz
auf der Seite derer, die getragen von Gottes Liebe frei geworden
sind. Amen.