Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr B 2003 (Markus)
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14. September 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
Zu
dem Versuch, die Reaktion des Petrus im Evangelium zu interpretieren,
habe ich mich durch die "Geschichte des Felix S." anregen lassen, die Jana
Simon unter dem Titel "Denn wir sind anders" recherchiert hat (Rowohlt rororo Taschenbuch 2002).
1. Kein beruhigendes "Lassen wir uns doch Zeit!"
- Wie groß muss die Versuchung gewesen sein, den letzten Satz aus dem Evangelium zu streichen. "Von denen, die hier
stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes in seiner ganzen Macht
gekommen ist." Jesus hat ausweislich dieser und anderer Bibelstellen fest damit gerechnet, dass die Zeit zwischen Kreuz
und Auferstehung bis zur Wiederkunft und Vollendung des Reiches Gottes nur kurz sein werde. Diese Erwartung haben
die Apostel als treue Zeugen ihren Gemeinden weiter gegeben. Weder ein Markus, der das Evangelium aufgezeichnet hat,
noch später die Kirche hat es gewagt, diesen Satz klammheimlich zu streichen, obwohl die Zeit schon längst lange
geworden war und bis heute geblieben ist.
- Stellen wie diese machen mich zuversichtlich, dass am Evangelium nicht herummanipuliert wurde, sondern das Zeugnis
zuverlässig ist. Grund genug, die Stelle als Fauxpas Jesu zu korrigieren, hätte man seit langem gehabt. Wenn man das
Evangelium liest merkt man aber, dass es hierbei nicht um Nebensächliches geht. Vielmehr atmet die ganze Botschaft
Jesu eine Atmosphäre des Drängenden. Kein beruhigendes "Lassen wir uns doch Zeit!" ist darin zu finden.
- Alles was wir heute aus dem Markusevangelium gehört haben, gehört in diesen Atemzug: Die Frage Jesu, wofür ihn die
Leute halten; die Antwort des Petrus im Namen der Kirche, dass er der erwartete Retter, der Messias sei; die
Ankündigung Jesu, dass er in Jerusalem leiden und sterben sowie von den Toten auferstehen werde; der Widerstand des
Petrus gegen die Perspektive des Leidens und Jesu harsche Kritik an Petrus; und schließlich das Wort Jesu, das an die
Jünger und alle Leute gerichtet ist: Das Leben ist nur zu gewinnen, wenn es um des Evangeliums willen verloren wird
und der Schlusssatz: dass die Vollendung des Reiches bald schon kommt.
2. Außer Kontrolle
- Jesus mutet seinen Jüngern Veränderung zu. Die Jünger, Petrus allen voran, mögen gehofft haben, mit Jesus das Ziel
ihres Lebens erreicht zu haben. Doch er ist nur der Weg, nicht das Ziel. Das zu erkennen ist schmerzhaft.
- Mit Schmerzen könnte Petrus umgehen. Ich stelle ihn mir als einen vor, der für seinen Herrn und Meister durch dick und
dünn steht und der jederzeit bereit ist, alles für Jesus zu tun. Petrus ist nicht einer, der Angst davor hätte, das Leben zu
verlieren. Wenn es für die Sache gut ist, für die er sich entschieden hat, dann steht er auch dafür ein. Dann hat er alle
Nehmerqualitäten und kann zugleich kämpfen. Dass Petrus versucht, Jesus vom Weg nach Jerusalem abzuhalten, ist kein
Zeichen dafür, dass er sich vor dem fürchten würde, was dort auf ihn selbst wartet. Petrus macht seinem Herrn nicht
Vorwürfe, weil er um sich selbst in Sorge wäre.
- Zumindest nicht an der Oberfläche. Die Sorge, die sich Petrus um seinen Herrn und Meister, um seinen Messias, macht ist
ernst und aufrichtig. Aber hinter solcher Sorge steht meist eine Angst, die viel tiefer geht. Es ist die Angst, dass die
Ordnung der Welt aus den Fugen gerät. "Was die Menschen wollen" ist Überschaubarkeit, Berechenbarkeit, ist Treue
und Zuverlässigkeit. Genug schon gerät aus den Fugen und passt nicht mehr zusammen. Die Welt in einem selbst ist
schwer genug zusammenzuhalten. Wenn dann die Welt um uns herum die letzte Übersichtlichkeit verliert, lauert die Panik
vor der Haustür. Deswegen wohl hat Petrus nicht Angst, sein Kreuz auf sich zu nehmen, sondern Angst, Jesus nachfolgen
zu müssen, während die Ereignisse außer Kontrolle geraten.
3. Der herandrängenden Gott
- Den beruhigenden Satz: "Lassen wir uns doch Zeit", wird Petrus von Jesus nicht gehört haben. Die Aufforderung: "Bau
uns ein paar Hütten, damit wir uns hier häuslich einrichten können", kommt nicht von Jesus. Seine Botschaft ist fordernd,
vielleicht nach unserem Empfinden oft überfordernd. Die Zeit drängt für Jesus nach vorne. Aus der Gegenwart heraus in
die Zukunft. Die Gegenwart wird von Jesus nicht wohnlich eingerichtet, sondern entschleiert. Die Realität der Gegenwart
ist das Kreuz. Die Aufforderung Jesu ist Nachfolge. Die Verheißung das unkalkulierbar aber sicher Kommende.
- Gottes Treue kann deswegen niemals als Zusage der Besitzstandswahrung verkündet werden. Wo es die Kirche versucht,
gerät sie auf die schiefe Bahn des Petrus, dem Jesus vorhalten muss: "Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn
du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen." Die Gewalt, die in der Kirchengeschichte -
und in sublimer Form der institutionellen Gewalt auch heute und wohl stets - von der Kirche ausgeht, liegt auf einer Linie
mit der Gewalt, mit der Petrus bei der Verhaftung Jesu dreinschlägt. Es ist die Gewalt, die das Vertrauen in die Treue
Gottes nicht hat, weil dieser Gott nicht sichere Zufriedenheit im Hier und Jetzt bietet. Das Kreuz zu tragen fiele
vergleichsweise leichter als die Übersicht zu verliereren und die Kontrolle.
- Ich vermute, dass heute ein wichtiges Glaubensmotiv für viele ist,
dass sie hoffen, im Glauben Sicherheit und Beständigkeit zu finden. Es
ist auch nicht so, dass dies nicht zu finden wäre. Wenn wir uns aber
auf die Verkündigung Jesu einlassen, dann werden wir über das Drängende
stolpern, das Jesus in die Geschichte hineingebracht hat. "Dein Reich
komme", klingt im Vater Unser so harmlos und fern. Für Jesus war
es so konkret und nah, dass er sogar meinte, es könne nicht ferner sein,
als die kurze Spanne eines Menschenlebens reicht. Wenn dies so nicht eingetreten
zu sein scheint, sollten wir dennoch nicht versuchen, nach zweitausend Jahren,
die dieser Satz im Text des Evangeliums überstanden hat, das Gemeinte
nun leichtfertig aus unserem Glauben zu streichen, weil wir von Gott doch
nichts anderes erwarten als Ruhe und Übersicht. Dann nämlich würde
aus dem lebendigen, herandrängenden Gott ein totes Relikt vergangener
Zeiten. Doch damit hat Jesus nichts gemein. Amen.