Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr C 2001

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30. September 2001 - St. Kilian, Frankfurt-Sindlingen

1. Reden

  • Nachdem die Theologen es nicht mehr unternehmen, absolute Aussagen zu wagen, hat es die Politik übernommen, von "unendlicher Gerechtigkeit" zu sprechen(1). Nachdem die Kirche vorsichtig geworden ist, gut und böse zu benennen, hat der amerikanische Präsident die Definitionsmacht an sich gezogen. Für Deutsche zumindest war es bis vor kurzem undenkbar, Reden zu hören, in denen Politik und Religion in solcher Weise zusammen gehen. Bestenfalls aus Hollywood war diese Sprache bekannt - wie auch der Schrecken, der solche Reden jetzt in der realen Welt möglich gemacht hat.
  • Immerhin verdanken wir diesem Phänomen, dass wir leichter begreifen können, wie die Lesung zu hören ist, die wir heute aus dem Buch Amos gehört haben. Die Unterschiede bei aller äußeren Ähnlichkeit machen die Lesung so aktuell und brisant. Der Prophet Amos spricht im Namen Gottes. Die großen Redner dieser Tage sagen, sie sprechen im Namen der Menschheit. Der Prophet weiß sich isoliert. Die medienwirksam inszenierten Ansprachen wissen sich im Trend der öffentlichen Meinung.
  • Dass die meisten Äußerungen kirchlicher Autoritäten, vom Papst an erster Stelle bis zu den allermeisten Bischöfen, zumal in Deutschland, ebenfalls dem Trend der öffentlichen Meinung widerstehen, macht Mut, sich auf die unbequeme Botschaft des Propheten einzulassen.

2. Prophet

  • Ein wenig Hintergrund. Das Buch Amos ist das erste, das uns vom Wirken eines Propheten in einem eigenen Buch berichtet. Amos trat am Anfang des 8. Jahrhunderts vor Christus in Israel auf, genauer im so genannten Nordreich, also nicht in Juda mit der Hauptstadt Jerusalem. Bet-El war das Zentrum des Nordreiches, das die anderen Stämme außer Juda umfasste. Das Reich war am Höhepunkt seiner Macht. Die Wirtschaft florierte und nur am Horizont kündigt sich die neue Großmacht Assyrien an. Die innenpolitische Diskussion dreht sich darum, ob man sich den Assyrern entgegenstellen oder - besser noch - sich mit ihnen arrangieren soll.
  • Da tritt der Prophet auf. Seine Visionen zeigen ihm eine ganz andere Zukunft. Er sieht, dass alles auf ein baldiges Ende der goldenen Zeit hinausläuft. Das Unheil ist nicht irgendwo am Rande eine fremde Macht. Das Unheil rührt aus der Mitte des eigenen Landes. Denn dort lebt eine kleine Oberschicht in Luxus. Nicht der Luxus ist es, was Amos anprangert, sondern die Ungerechtigkeit, die ihn ermöglicht. Andere müssen zahlen: die Menschen, die Verlierer der Entwicklung sind. Noch bevor durch den Lauf der Geschichte das Land zerstört wird, ist es im Inneren schon zerstört.
  • Die heutige erste Lesung bietet nur einen kleinen Ausschnitt aus den Reden des Amos. "Ihr, die ihr den Tag des Unheils hinausschieben wollt, führt die Herrschaft der Gewalt herbei." Das ist der Kern der prophetischen Botschaft. Ihr sinnt Euch allerlei Strategien aus, wie das Unheil abgewendet werden kann - und überseht dabei die Ursache, die bei Euch selber liegt!

3. Frohe Botschaft

  • Darin liegt der entscheidende Unterschied der Gottesrede des Amos zu den pseudoreligiösen Reden der letzten Wochen. Es kostet nicht viel, einen Herrn Bin Laden und seine Helfer als das darzustellen, was sie sind: menschenverachtende Verbrecher. Mit solcher Rede kann man sehr leicht und schnell die Welt in Gut und Böse aufteilen. Man trägt den Kampf nach außen, gegen die äußeren Feinde. Man macht die inneren und äußeren Grenzen dicht, weil man meint, damit das Unheil vor der Tür zu lassen. Die Opfer des Terrors in anderen Ländern oder außerhalb der industrialisierten Welt haben noch nie sonderlich gerührt.
  • Amos dagegen tritt ein für das Recht Gottes.
    - Das Recht Gottes ist die Gerechtigkeit, die Gott fordert. Gerechtigkeit ist kein strategisches Kalkül.
    - Das Recht Gottes ist es, die Würde des Menschen zu wahren, den Gott erschaffen hat. Keine Wirtschaftsmacht und keine Technik ist Ursprung des Menschen.
    Natürlich ist unsere Lage ungeheuer komplex. Das Unrecht zu benennen und die Nutznießer zu identifizieren, ist alles andere als leicht. Wie hängt unser Wohlstand zusammen damit, dass in Saudi Arabien eine winzige Oberschicht sich ein internationales Heer von Arbeitern hält, die nutzlos werden, wenn das Öl eines Tages ausgebeutet ist? Die Ölscheichs können dann immer noch von ihren Mercedes-Aktien leben. Die Opfer werden in die Arme der Terroristen getrieben. - Natürlich ist das nur ein Beispiel, aber es macht deutlich, dass die prophetische Aufgabe der Kirche heute darin besteht, der herrschenden Meinung zu widersprechen, mit einem Feldzug gegen die Terroristen sei es getan. "Ihr, die ihr den Tag des Unheils hinausschieben wollt, führt die Herrschaft der Gewalt herbei."
  • Die Visionen des Amos sind bedrohlich. Dennoch ist es Frohe Botschaft. Dies gilt auch für das Evangelium mit dem Beispiel des reichen Prassers. Nicht darum geht es, Angst ob eines unabwendlichen Schicksals zu verbreiten, sondern aufzurütteln. Das Evangelium auch wendet sich mit dem Beispiel nicht an die armen Lazarusse (beruhigend: "Ihr landet später einmal in Abrahams Schoß"). Es wendet sich an die Nutznießer der Situation, die in ihrem Luxus nicht merken, wie ungleich der Wohlstand verteilt ist.
    Vielleicht hat der reiche Prasser doch in dem einen recht, wenn er sagt: "Wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren." Vielleicht ist diese Tat des Lebens, die Gott in der Auferstehung des Einen gesetzt hat, doch noch die Chance umzukehren. Gott will den Menschen das Leben nicht nehmen. Aber es bedarf der Propheten aufzuzeigen, wo wir es schon verprasst und vertan haben, wo es schon vergangen ist, auch wenn wir es nicht merken. Einer ist von den Toten zu uns gekommen. Es ist an uns, die Botschaft zu hören. Amen.