Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)

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4. Oktober 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Jesus liegt quer

  • Jesus, der Kinderlose, segnet die Kinder. Jesus, der Zölibatäre, spricht über die Ehe. Keine Praxis, viel Theorie, so sieht das aus. Hätte Jesus nicht alles in allem einen so guten Ruf, würde man ihn zu denen zählen, die viel daherreden, wovon sie nicht nur nichts verstehen, sondern wo vor allem dem Reden keine Taten und keine entsprechende Praxis folgt. So könnte es scheinen. Das Gegenteil jedoch ist der Fall.
  • Bei den Themen Ehe und Kinder stand Jesus quer zur Meinung und Kultur des damaligen Judentums, der antiken Kultur überhaupt und offensichtlich auch bei seinen Jüngern. Kinder hatten keinen Wert und keine Bedeutung. Jesus hingegen sieht in ihnen die Armen und Rechtlosen, die Gott in besonderer Weise liebt und segnet.
  • In der Frage der Ehescheidung stoßen wir auf das zweite Thema, das Jesus offenbar wichtig und zentral war und mit dem er quer liegt. Im jüdischen Gesetz, das die Pharisäer zitieren, gehörte das Eherecht zum Sachenrecht, das den Besitz des Mannes regelt. Dennoch war Jesus sicher die Diskussion bekannt, aus welchem Grund ein Mann seine Frau entlassen dürfe. Und in der griechisch-römischen Kultur war es zwar auch der Frau möglich, die Scheidung auszusprechen. Die Scheidung als solche aber war wohl so "normal" wie heute. Jesus wusste also, dass seine Position quer liegt.

2. Ehe und Bund

  • Redet Jesus nur darüber? Er selbst lebte ja zölibatär, unverheiratet. Es macht nachdenklich, dass Jesus einerseits das Thema offensichtlich betont hatte - deswegen wussten die Pharisäer um seine Position in der Frage. Andererseits ist es doch das Kennzeichen Jesu, dass er das, was er lehrt, viel deutlicher noch durch sein Leben und Handeln verkündet. Er hält Mahl mit den Ausgegrenzten, und er verkündet die Vergebung. Er spricht über das Vertrauen im Glauben und vertraut dem Vater sogar, als ihm das Kreuz vor Augen steht. In der Nachfolge der Propheten ist für Jesus - und in seiner Nachfolge für Christen - das Zeugnis der Existenz wichtiger als das reine Wort. Das geht bis in die christliche Liturgie, die durch Zeichen und Vollzüge ausdrückt, was wir bekennen.
  • Jesus war die Ehe nicht egal. Sie war ihm wertvoll. Deswegen lebte er zölibatär. Wir müssen nur darauf achten, in welcher Form Jesus von der Vollendung des Reiches Gottes spricht: Es wird eine Hochzeit sein. Jesus ist ehelos, weil die Kirche seine Braut ist. Der Sohn Gottes wird vom Himmel her Hochzeit halten als Fest der Vollendung der Liebe. Dafür ist es das gelebte Zeichen, dass er auf Erden nicht heiratet. Nicht aus Missachtung der Ehe ist er ehelos, sondern um des kommenden Reiches willen. "Wer das erfassen kann, der erfasse es" (Mt 19,12), heißt es ausdrücklich dazu!
  • Wenn wir das Evangelium genau hören, widerspricht Jesus ja gar nicht den Pharisäern, die auf die Scheidungsregel im mosaischen Gesetz verweisen: Ja, das steht da. Aber gilt das auch dort, wo nicht nach Gesetz und Ausnahmen gefragt wird, sondern nach Gott, der Mann und Frau verbindet? Jesus lässt die Pharisäer damit stehen. Aber daheim, mit seinen Jüngern allein, geht er weiter. Was er jetzt sagt, sagt er denen, die ihm nachfolgen wollen. Ihnen sagt er, dass für sie die eheliche Treue absolut gilt. Nicht weil er gesetzlicher als das Gesetz sein will, sagt Jesus das, sondern weil er die Jünger zu der Vision führen will, die er hat: Dass Gott durch das Leben der Jünger verkündet wird. Wie für ihn selbst (und einige seiner Apostel) der Zölibat eine Verkündigung der himmlischen Hochzeit ist, so soll die Lebensform der verheirateten Apostel eine Verkündigung des treuen Bundes Gottes mit seinem Volk sein. Genauer noch: Sie sollen in ihrer Treue die Treue Gottes finden, daraus leben und so die Frohe Botschaft verkünden, dass Gott gegenwärtig ist in dieser Welt.

3. Nachfolge leben

  • Jesus beruft die Jünger, ihr Leben aus der Erfahrung der Gegenwart Gottes zu leben. Sie sollen in dem, was sie sind, verkünden, was sie glauben. Mögen die anderen in ihre Eheverträge Scheidungsklauseln aufnehmen. Das ist nicht die Nähe Gottes, die Jesu Existenz trägt. Von daher ist es auch nicht kleinlich, wenn die (katholische) Kirche nach dem Wort Jesu an der Unauflöslichkeit der Ehe festhält. Es ist nicht kleinlich, sondern visionär. Darin steckt die Vision, dass Gottes Reich sich im Leben seines Volkes realisiert. Ohne diese Vision bleibt nur Gesetzlichkeit.
  • Wie aber realisiert sich diese Vision, wenn die Ehe eines Christen doch scheitert und zerbricht? Keiner hat es gewollt, aber es geschieht. Wir alle sind auch in der Nachfolge Jesu gebrechliche Menschen. Wie in der römischen Antike leben auch wir heute in einer Kultur, die es uns an dem Punkt nicht leicht macht. Um der Menschen willen dürfen wir die Vision nicht aufgeben. Aber um der betroffenen Mitchristen willen müssen wir auch Wege finden, wenn eine christliche Ehe zerbricht. Denn auch - und vielleicht gerade dann -, wenn wir an der Vision scheitern, ist sie lebenswichtig.
  • Ein Weg ist es, die Treue in der Trennung zu leben. Jeder, dessen Ehe scheitert, kann sich fragen, ob dies seine Berufung ist. Die Treue in der Trennung zu leben bedeutet, nicht wieder zu heiraten. Vielleicht hat Jesus auch das im Blick, wenn er gegenüber den Jüngern Wiederverheiratung ausschließt. Dies wäre eine große Berufung, die gerade auch den Betroffenen selbst ganz nah zu Gott führen kann. Die Kirche ermutigt dazu. Ich will nicht behaupten, dass diese katholische Lehre zum Thema Wiederverheiratung die ideale Lösung für die Betroffenen darstellt. Vielleicht gibt es aber auf der Ebene der ganzen Kirche eine solche Lösung nicht, gerade weil das Evangelium so deutlich ist.
  • Wie für die ganze Nachfolge gilt aber auch hier, dass dies eine Berufung ist. Es gibt unter uns Christen, deren Ehe gescheitert ist und die sich nicht berufen erfahren, treu in der Trennung zu leben. So wenig wir einfach Wiederverheiratung als kirchliche Praxis einführen dürfen, so wenig darf sich irgend jemand über Wiederverheiratete moralisch erheben.
  • Für die Betroffenen aber bleibt die Vision, die das Evangelium schenkt. Für sie bedeutet das, nach einer anderen, neuen Weise zu suchen, wie sie ihr Leben prägen lassen durch das Evangelium. Durch die Scheidung ist gleichsam eine Lücke entstanden, die nur einerseits schmerzhaft ist, andererseits aber auch Sehnsucht nach der Berufung weckt. Ich habe dafür kein Rezept. Aber vielleicht ist unsere Kirche der Raum, in der Menschen ihre Berufung finden, auf ihre ganz besondere Weise und ganz ausdrücklich auf die Vollendung des Reiches Gottes hin zu leben.
  • Ein Schlüssel dazu kann das andere aus dem Evangelium sein, mit dem Jesus quer liegt: die Kinder, die er segnet. Es gibt ganz ohne Zweifel diese besondere, sichtbare und erlebbare Berufung, sich der Kinder, der Rechtlosen und der Armen in einer Weise anzunehmen, dass darin erfahrbar wird: Gottes Liebe ist treu, auch und gerade dort, wo wir Menschen an unsere Grenzen stoßen. Amen.