Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr C 2013 (1. Korintherbrief)

Zurück zur Übersicht von: 03. Sonntag Lesejahr C

27. Januar 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Glauben am Abgrund

  • " Die Augen aller in der Synagoge waren auf Jesus gerichtet." Denn, was soll das bedeuten, dass er in seiner Ankunft auf Erden die Erfüllung des Prophetenwortes sieht? "Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht". Es gibt weiterhin Menschen, die in Armut, Gefangenschaft, Blindheit und Krankheit geworfen werden. Worin besteht die Gute Nachricht Jesu?
  • Ebenso: Wenn Paulus nach Korinth schreibt, es würden "alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie", so bleiben doch die einen Sklaven, die anderen Freie, weil die römische Gesellschaftsordnung das so vorsieht. Auch wenn es heute bei uns keine unverhüllte Sklaverei mehr gibt, so sind doch auch heute Menschen von Geburt an in ihrem Schicksal bestimmt. Einzelnen mag es gelingen daraus auszubrechen, aber die Statistik spricht eine eindeutige Sprache. Wer in Armut oder mit einer Behinderung geboren ist, wird sein Leben lang benachteiligt bleiben. Behinderung versucht man heute zu verdrängen, indem derartiges Leben vielfach getötet wird, bevor es geboren werden kann. Die Armut hingegen wird eher geleugnet oder an den Außengrenzen der Wohlstandsnationen abgewehrt.
  • Wer an die Machbarkeit von allgemeinem Wohlstand und ungetrübter Gesundheit glaubt, wird verdrängen, dass dieser Glaube letztlich weltweite Realität verleugnet. Aber verleugnet der Glaube an einen barmherzigen, liebenden Gott nicht ebenso Realität? Spricht nicht die Wirklichkeit eine deutliche Sprache? Das Bild vom allseits barmherzigen, liebenden Gott ist nahe am Abgrund gebaut, in den solcher Glaube stürzen kann, wenn er die Tatsache an sich heran lässt, dass unzählige Menschen nie eine Chance gehabt haben, in Frieden, Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit zu leben. Worin besteht bei dieser Willkür des Schicksals die "gute Nachricht", von der Jesus spricht?

2. Die beste aller Welten

  • Wir tun uns schwer mit der Erfahrung der Willkür, in der Gott das Schicksal zuteilt. Unser Gottesbild will aufgeklärt und rational sein. Das gilt sogar noch für viele, die gar nicht an Gott glauben. Unsere Kultur ist durchdrungen von der Vorstellung einer letztlich doch gerechten Ordnung der Welt, auch wenn über ihr kein Gott mehr ist, der diese Ordnung verbürgt.
  • Vor allem unser Wirtschaftssytem beruht auf diesem Glauben. Adam Smith, der das Bild der invisible hand bekannt gemacht hat, war noch Theologe (und benutzte den Ausdruck bezeichnender Weise erstmalig in einem Aufsatz über Astronomie - Smith hat die Ordnung des Kosmos und der Wirtschaft nach dem selben Schema gedacht!).
    Die Theorie der "unsichtbaren Hand" besagt, dass auch wenn jeder Einzelne seine eigenen Interessen verfolgt, durch einen unsichtbaren Mechanismus daraus Wohlstand für alle werde. Selbst wenn wir heute diesem Mechanismus nicht mehr freie Hand lassen, sondern versuchen, ihn durch Sozial- und Wirtschaftsgesetze zu steuern, so liegt der Glaube an die allgemeine Wohltätigkeit des Marktes doch dem Wettbewerbsprinzip überhaupt zugrunde. Es sollten doch alle mit allen in Wettbewerb treten, dann würde nicht nur der Tüchtigere belohnt, sondern auch das allgemeine Wohl gefördert. Das Problem dabei ist, dass dabei die hinten runter fallen, die von vorne herein die schlechteren Chancen hatte. Wer immer nur die Leistungsgerechtigkeit betont und damit enorme Einkommensunterschiede begründet, ignoriert die Ungerechtigkeit bei den Startbedingungen. Denn: Das Leben ist ungerecht.
  • Ein schönes Beispiel für dieses Denken findet sich beim Hochleistungssport. Ein Chemieprofessor hat 2008 in einem Spiegel-Interview vertreten, man müsse bestimmte Dopingmittel wie Epo oder Testosteron legalisieren. Denn der menschliche Körper produziere viele Mittel selbst, nur eben bei einigen mehr, bei anderen weniger. Diese Ungerechtigkeit der Natur müssen man doch ausgleichen dürfen. - Hier ist es, das Ideal einer machbaren Welt, in der alle dieselbe Chance haben. Nur existiert eine solche 'beste aller Welten' nicht. Wer immer daran Schuld trägt, die Willkür Gottes oder die Blindheit der Natur: Das Leben ist ungerecht.

3. Einspruch gegen die Ungerechtigkeit

    • Noch ein paar Jahrzehnte vor Adam Smith findet sich ein ganz anderes Verständnis von 'Unsichtbare Hand'. Als im Jahr 1703 das englische Kriegsschiff Prince George einen gewaltigen Sturm überstand, dem etliche andere Schiffe zum Opfer fielen, schrieb der Kommandant Martin ins Schiffstagebuch: "Die unsichtbare Hand der Vorsehung hat uns errettet". Es wäre für ihn dieselbe 'unsichtbare Hand' gewesen, die das Schiff in den Abgrund gezogen hätte. Heute mögen wir vieles rational erklären können. Für den Schiffsjungen auf offener See macht das wenig Unterschied, wenn er bei seiner ersten Fahrt sterben muss.
      Wir sollten solche Erfahrung nicht mit der Rede von der Barmherzigkeit und Güte Gottes kleinreden; ich meine das durchaus auch selbstkritisch. Für die Glaubenserfahrung, die sich in der Bibel niederschlägt, besteht daran nämlich kein Zweifel, dass Gott unbegreiflich ist in seinem Tun und Lassen. Das lässt sich nicht theologisch einebnen. Die einen scheint Gott zu retten, die anderen zu verwerfen; der Calvinismus hat das kompromisslos zu Ende gedacht.
    • Und doch gibt es das andere, von dem die Bibel zeugt. Es stellt die Unbegreiflichkeit Gottes nicht in Frage. Aber neben der Erfahrung, dass Gott so viel Ungerechtigkeit zulässt, steht die Erfahrung Gottes, der mitten in diese Welt hinein gegenwärtig wird und heilt. Auch hier unbegreiflich, aber doch wirklich. Für diese Unbegreiflichkeit Gottes und seiner Weltordnung steht die Menschwerdung Gottes in diese Welt hinein. Gott wird dadurch weder rational eingehegt noch vom vorwurfsvollen Schrei des Leides entlastet. Aber wo uns Gott nicht nur durch das Wort des Bundes-Gesetzes, sondern durch das in Christus lebendige Wort begegnet, dort ruft uns das, der Ungerechtigkeit zu trotzen und sie nicht als 'gottgegeben' hinzunehmen.
    • Bei Paulus sind die konkreten Konsequenzen beschrieben. Als Gegenbewegung zur Ungerechtigkeit hat Gott die Christen von Korinth, "Sklaven und Freie", in einem Körper zusammengeführt. Nach dem Maßstab des Gekreuzigten sollen in ihm die Schwachen und die, "die wir für weniger edel ansehen", mehr gelten. - Wir mögen nicht ohne Leistungsdenken, Wettbewerb und Marktwirtschaft auskommen. Aber wenn es den lebendigen Leib Christi nicht mehr gäbe, der nicht vom Wettbewerb lebt, sondern von der Höherachtung der Schwachen vor den Starken, dann bliebe kein Einspruch mehr, gegen die Ungerechtigkeit. Amen.




Teile der Predigt verdanken sich Anregungen aus: Macho, Thomas: Das Leben ist ungerecht -Unruhe bewahren. Anachronistische Themen - neu gedacht. St. Pölten (Residenz Verlag) 2010