Predigt zum 8. Sonntag im Lesejahr A 2008 (Matthäus)
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25. Mai 2008 -
1. Vögel des Himmels
- Die "Vögel des Himmels" könnten Raben gewesen sein. Bei Lukas,
in der Parallele zum heutigen Evangelium, steht das zumindest ausdrücklich.
Nun ist zwar nicht bekannt, ob Jesus sich ausdrücklich für Tierpsychologie
interessiert hat, aber wenn der Gedanke hilft, das Evangelium in Jesu Sinn
zu verstehen, dann mag er sinnvoll sein.
- In der alten Ausgabe von Brehms Tierleben ist über die Raben notiert:
"Wie mein Vater sagt, lebt der Kolkrabe gewöhnlich auch im Winter
paarweise. Die in der Nähe eines Wohnortes horstenden Paare flogen im
Winter oft täglich über die Täler weg und ließen sich
auf den höchsten Bäumen nieder. Hörte man den einen Gatten,
so brauchte man sich nur umzusehen: der andere war nicht weit davon. Trifft
ein Paar bei seinem Fluge auf ein anderes, dann vereinigen sich beide und
schweben einige Zeit miteinander umher. Die einzelnen sind ungepaarte Junge,
die umherstreichen; denn der Kolkrabe gehört zu den Vögeln, die,
einmal gepaart, zeitlebens treu zusammenhalten. Sein Flug ist wunderschön,
geht fast geradeaus und wird, wenn er schnell ist, durch starke Flügelbewegungen
beschleunigt; oft aber schwebt der Rabe lange Zeit und zieht dabei in der
Luft die schönsten Kreise, wobei Flügel und Schwanz stark ausgebreitet
werden. Man sieht deutlich, dass ihn das Fliegen keine Anstrengung kostet."
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2. Nicht Sorgen
- Es ist nicht selten, dass sich das Evangelium scheinbar leicht durch simple
Erfahrung widerlegen lässt. Was Jesus sagt, klingt gut, passt aber nicht
in die Welt, wie sie ist. So auch die Rede Jesu, wir könnten das Sorgen
bleiben lassen und es machen, wie die Raben: Sie säen nicht und sie ernten
nicht und der himmlische Vater ernährt sie doch. Nicht nur dass uns das
Menü wenig behagen dürfte, das bei Rabens auf dem Speiseplan steht.
Wie würden schlichtweg verhungern.
- Einen Hinweis, in welche Richtung das Evangelium zu lesen ist, gibt jedoch
der Abschnitt aus Brehms Tierleben: Gott hat es gefügt, dass Raben -
entgegen dem schlechten Ruf ihrer Elternschaft - einander nicht allein lassen.
Dies gepaart mit der Leichtigkeit ihres Flugs lässt uns die Gestimmtheit
ahnen, die wir von ihnen lernen könnten.
- Dazu ein Zweites: Während sich unser Abschnitt des Evangeliums an die
Jünger richtet, gibt es einen anderen, der sich an alle Leute richtet.
Darin gibt Jesus die schliche Frage: Wozu alle Anhäufung von Reichtum
lohnt, wenn mit dem Tod auch alles verloren geht. Was sei dann der Sinn des
Lebens gewesen? Durch alle Sorge kann man am Eigentlichen vorbei schießen.
Man kann für alle Fälle vorgebeugt haben, außer für den
einen, der so sicher ist wie die Steuer und der Tod. Raben betreiben keine
Vorratshaltung. Das ist tadelnswert. Man kann aber bei aller Vorsorgehaltung
für das Entscheidenste im Leben null vorgesorgt haben.
3. Jünger
- Jesus macht in den Evangelien immer wieder einen Unterschied, ob er zu "den
Leuten" spricht oder zur Gemeinschaft der Jünger. Die Frage nach dem
Sinn der Sorge gilt für alle Menschen, was nun kommt offenbar nicht.
Ob Jesus aus Brehms Tierleben um die bemerkenswerte Treue der Kolkraben wusste
oder nicht: Dies ist der Punkt. Für die Menschen, die als Jünger
Jesu leben wollen, kommt hinzu, dass sie die Chance haben, auf diese Gemeinschaft
zu bauen.
- Dies hat eine spirituelle Komponente. Menschen die aus dem Vertrauen in
die Treue Gottes leben, leben anders. Wenn ich mir sicher bin, dass kein Wechselfall
des Schicksal mir das Letzte und Eigentliche des Lebens rauben kann, wird
etwas von der Freiheit des Fluges der Vögel auch den eigenen Lebensstil
prägen. Es hat aber auch eine ganz konkrete Komponente. Jesus will die
Gemeinschaft seiner Jünger und damit die Kirche als eine soziale Sphäre,
in der Menschen auf einander vertrauen können. Er hat die Vision, dass
Christen einander auch ganz konkret beistehen und Arm und Reich füreinander
einstehen.
- Keine Frage, damit ist eine Kluft aufgetan zwischen Theorie und Praxis.
In einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft würden wir uns wahrscheinlich
schnell überheben und in der Kirche in ihrer tatsächlichen Sozialform
nicht minder. Aber zumindest diese Kluft zwischen Theorie und Praxis sollten
wir nicht vorschnell durch eine angepasste Theorie zuschütten, denn nur
so bleibt die Erinnerung daran, dass Gesellschaft auch anders sein kann, dass
die Konkurrenzgesellschaft westlicher und städtischer Prägung erst
recht nicht einfach hin Höhepunkt kultureller Entwicklung ist. Vor dem
Anspruch des Evangeliums haben manche von uns als primitiver belächelte
und in der Globalisierung unterlegene Kulturen einen Vorsprung. Amen.
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Ein Nachtrag aus Brems Tierleben - zur rechten Beurteilung der Raben:
Es gibt vielleicht keinen Vogel weiter, der in gleichem Umfange wie der
Rabe Allesfresser genannt werden kann. Man darf behaupten, dass er buchstäblich
nichts Genießbares verschmäht und für seine Größe
und Kraft Unglaubliches leistet. Ihm munden Früchte, Körner und andere
genießbare Pflanzenstoffe; auf jeder Art von Aas ist der Rabe eine regelmäßige
Erscheinung; aber er ist auch ein Raubvogel ersten Ranges, kann außerordentlich
schädlich werden und ist in einigermaßen von Menschen dichter bewohnten
Gegenden nicht zu dulden. Nicht Insekten, Schnecken, Würmer und kleine
Wirbeltiere allein sind es, denen er den Krieg erklärt: er greift Säugetiere
und Vögel, die ihn an Größe übertreffen, mit angemessener
Vorsicht, aber auch mit großem Mute erfolgreich an, Hasen z. B. ohne alle
Umstände, und nicht bloß kranke oder angeschossene, und raubt in
der unverschämtesten Weise die Nester aus, nicht nur die wehrloser Vögel,
sondern auch die der kräftigen Möwen, die sich und ihre Brut sonst
wohl zu verteidigen wissen. Vom Hasen an bis zur Maus und vom Auerhuhn an bis
zum kleinsten Vogel ist kein Wirbeltier vor ihm sicher. Frechheit und List,
Kraft und Gewandtheit vereinigen sich in ihm, um ihn zu einem gefährlichen
Räuber zu stempeln. Von den verwandten Arten werden die Kolkraben gehasst
und angefeindet.
Quelle: Brehms Tierleben. Kleine Ausgabe für Volk und
Schule. Dritter Band: Die Vögel. Leipzig 1927.