Predigt zum Hochfest Allerheiligen 2009 (Matthäus)
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1. November 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Glück
- Allerheiligen ist die Nagelprobe auf die Seligpreisungen. Dieses Fest zu
feiern setzt voraus, dass wir für möglich halten, was da steht.
Denn eigentlich ist es unmöglich und vollkommen paradox, womit Jesus
seine Bergpredigt einleitet.
- Wer ist glücklich? Diese Frage lässt nicht kalt. Wir brauchen
nur darauf zu achten, aus welchem Anlass wir Menschen gratulieren oder still
für uns als glücklich preisen. Lassen wir Geburtstagsglückwünsche
mal außen vor, so ernst ist das in unserer jugendversessenen Kultur
nicht gemeint, wenn wir Menschen gratulieren, weil sie älter werden.
- Für glücklich gilt, wer erfolgreich ist. Glücklich gilt,
wer auf den Aufstiegsplätzen sitzt. Beileidswünsche zur Beförderung
sind unüblich. Was in unserer Bibelübersetzung unausrottbar "selig"
heißt, meint eigentlich "glücklich". Als aber in einer Vorfassung
der Einheitsübersetzung aus den Seligpreisungen die Wohl-denen-Preisungen
wurden, war der Protest groß - zu recht vielleicht. Aber mit dem "selig"
verdrängen wir leicht die Zumutung der Bergpredigt.
2. Zeugnis
- Das Allerheiligenfest feiert nicht die Glücklichen. Es feiert die Versager.
Ursprünglich wurden als Heilige nämlich nur die Märtyrer verehrt.
Die aber haben es in ihrem Leben zu nichts gebracht. Sie wurden ausgegrenzt,
sind gescheitert und schlussendlich auf oft grausame Weise ermordet. Das soll
Glück sein?
- Die Seligpreisungen steigern sich. "Arm vor Gott" und "ein
reines Herz haben", nun ja, die frommen Spinner. "Glückwunsch
den Trauernden", das klingt schon nur noch zynisch. "Keine Gewalt
anwenden", mag seit Gandhi popkulturellen Wert haben; im Alltag aber
nennt man das mangelndes Durchsetzungsvermögen. Wir lassen es durchgehen,
wenn sie wenigstens "Frieden stiften", aber auch da haben die Friedensstifter
selbst oft wenig davon. 'Haltet Abstand von prügelnden Jugendlichen auf
S-Bahnhöfen!', sonst gehört man schnell zu denen, die um der, ach,
Gerechtigkeit willen selbst verfolgt werden. Am Schluss lässt Jesus die
Katze aus dem Sack: "Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft
und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet." Schrägere
Glücksvorstellungen sind kaum denkbar.
- Und doch sind Heilige die, denen solch fragwürdiges Glück zuteil
wurde. Aus dem Abstand verklärt sich ihr Schicksal ein wenig. Aus der
Nähe betrachtet weniger. Das Allerheiligenfest bündelt all diese
Gescheiterten und sagt: Das ist es! Und zwar gilt diese Glückszuschreibung
nicht etwa erst für die Zeit nach dem Tod, dass sie dann siebzig Jungfrauen
hätten. Das wird bezeichnender Weise von Wirrköpfen denen versprochen,
die andere brutal morden und mit sich in den Tod reißen. Jesus aber
sagt seinen Versagern, die noch nicht einmal kämpfen können, dass
sie hier auf Erden schon zu beglückwünschen sind. Der Himmel kommt
dann noch oben drauf: "Freut euch und jubelt!"
3. Gegenwart
- All das ist Glück nur unter einer Bedingung: Dass Gott im Spiel ist.
Nur dann könnte etwas dran sein, dass die nach vernünftigen Maßstäben
Gescheiterten in Wahrheit glücklich zu preisen sind. Wenn wir Allerheiligen
feiern, dann nur deswegen, weil allein von Gott her letztes, tragendes und
wahres Glück kommt, das durch keine Werke, keine Leistung und keinen
Erfolg zu haben ist. Die Seligpreisungen ohne die spürbare Nähe
Gottes und seines Reiches wären schlichtweg gefährlicher Unsinn.
- Deswegen hat Allerheiligen eine irdische und eine himmlische Richtung. Im
Himmel ist der große, unzählbare Chor der Heiligen; nur wenige
von ihnen feiern wir mit Namen. Wir werden überrascht sein, wer da alles
dabei ist! Es ist ein Chor der Heiligen im Himmel. Ohne die Mühe der
Chorproben, mit der ganzen Freude einer Gemeinschaft aus vielen Stimmen. Da
sitzt nicht jeder einsam auf seiner Wolke. Das Leid und die Trauer wird zu
einem Fest verwandelt - ein Hochzeitsfest, wie Jesus immer wieder sagte, weil
der himmlische Gottessohn Hochzeit hält mit seinem Volk.
- Dieses Fest strahlt aus in diese Zeit. Die Seligpreisungen der Bergpredigt
singen von den Menschen, die unscheinbar und oft verhöhnt hier schon
durch den Gekreuzigten die Freude einer Gemeinschaft erleben, die erfüllt
ist von Gottes Geist. Wo unsere Kirche in den Pfarrgemeinden lebendig ist,
wird das dort erfahren. Wo dies nicht der Fall ist, sammelt der Heilige Geist
in immer wieder überraschend neuen Formen Menschen, um sie als Gemeinschaft
erfahren zu lassen, wie viel größer das Glück ist, das Gott
schenken kann, gegenüber dem vergänglichen Glück. Das Vergänglich
hat seine Freuden. Das Unvergängliche aber kann schon hier das Vergängliche
verwandeln zum Fest der Gegenwart Gottes. Amen.