Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest Allerseelen 2014 (zum Fest, Allerseelenablass)

Zurück zur Übersicht von: 2. November: Allerseelen

2. November 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Fegefeuer

  • Wir werden heute am Ende des Gottesdienstes im Schlussgebet bekennen, dass wir "das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Christi für unsere Brüder und Schwestern" gefeiert haben, und werden Gott bitten: "Führe sie vom Tod zum Leben, aus dem Dunkel zum Licht, aus der Bedrängnis in deinen Frieden". Wir beten also für Verstorbene, die 'jetzt' irgendwie noch unterwegs sind, so dass Gott sie "aus dem Dunkel zum Licht" führen kann.
    Was hier gesagt wird, hat mit etwas sehr Eigentümlichem zu tun: Dem, was man den Allerseelenablass nennt, der nur den 'Armen Seelen' im Fegefeuer zugewandt werden kann. Dies verträgt eine Erläuterung, die ich in drei Punkten geben will.
  • Zunächst: Das Fegefeuer hat nichts mit der Hölle zu tun, sondern ist der Weg der Liebe, der zum Himmel führt. Purgatorium, Reinigung, ist der lateinische Ausdruck.
    Die Hölle wäre, wenn jemand sich frei entscheidet, ganz von Gott getrennt sein zu wollen - unvorstellbar wie das absolut Böse, aber möglich. Der Himmel ist die ewige, liebende Verbundenheit in Gott. Das Fegefeuer ist der Weg, für alle, die auf Erden sterben, deren Herz aber noch bereitet werden muss für den Himmel.
    [Damit zusammen hängt die Erfahrung, dass wir Menschen unschuldig geboren werden, doch in eine von Schuld geschlagene Welt hinein. Insofern beten wir auch bei einem Säugling in der Taufe um die Befreiung von der Erbschuld. Denn während zwar das kleine Kind noch ganz fähig ist, Liebe zu empfangen, ja letztlich nur aufgrund dieser Fähigkeit lebt, verbauen wir uns diese Fähigkeit im Laufe des Lebens vielfach auf tragische Weise. Wir meinen uns selbst genügen zu müssen, meinen alles unter unsere Kontrolle bringen zu müssen, und verlieren in dem Maße die Fähigkeit Liebe zu empfangen. Purgatorium beginnt mit dem Loslassen der Kontrollsucht.]
  • Die Hölle wäre die absolute Unfähigkeit, Gottes Liebe empfangen zu wollen. Der Himmel hingegen ist genau dies: von der Fülle der Liebe Gottes umgeben zu sein. Auf dem Weg dahin muss bei den meisten von uns erst einmal die Schutz- und Trutzmauer niedergerissen werden, die ich mir im Laufe meines Lebens aufgebaut habe. Fegefeuer ist gleichsam der Vorhof zum Himmel. Dieser Weg wird zwar schmerzhaft sein, aber er ist fundamental heilsam.

2. Kirche des Himmels und der Erde

  • Die katholische Tradition hält daran fest, dass es eine Verbindung gibt: Die Auferstehung Jesu hat jene Trennung auch von unten her durchbrochen, durch die Himmel und Erde getrennt sind. Personale, echt menschliche Beziehung ist von der Erde her zu den Verstorbenen möglich, die in Christus leben. Christus wurde - um es im Bild der Bibel zu sagen - mit seiner Menschheit zur Rechten Gottes im Himmel aufgenommen. Das hat in der Beziehung von der Erde zum Himmel alles verändert.
  • "Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm." Den Satz sagt Paulus mit Bezug auf die Kirche in Korinth (1Kor 12,26). Der Satz gilt aber auch für die Verbindung von Himmel und Erde. Er gilt sowohl für die Verbindung im gemeinsamen Gebet, die besteht zwischen uns, der Kirche auf Erden unterwegs, und der Kirche der Heiligen im Himmel. Er gilt auch für die Verbindung mit denen von uns, die - alle Sprache und alle Bilder können nur tastend auf die gemeinte Realität verweisen - von der Erde genommen sind, aber noch nicht bereit sind, im Himmel anzukommen. Sie werden von Gottes Barmherzigkeit gereinigt und geöffnet, für die überströmende Liebe, mit der er sie Gott im Himmel umgibt und mit der ihn alle Heiligen des Himmels empfangen.
  • Die Kirche des Himmels und der Erde singt zusammen den Lobpreis Gottes. Die Kirche auf dem Weg der Reinigung ist damit untrennbar verbunden. Wir wissen, wie schmerzhaft es auf Erden ist, Gewalt und Missbrauch aus den eigenen Reihen nicht mehr zu leugnen, sondern sich durch die Wahrheit reinigen zu lassen. Das Fegefeuer, das Purgatorium, der Weg der Reinigung nach dem Tod ist dem vergleichbar. Gerade in Situationen schmerzhafter Erkenntnis und Reinigung ist es eine ungemeine Stärkung und ein Trost zu wissen, dass andere Glieder der Kirche in Gebet und Werken echter Liebe mit dem verbunden sind, der von Schuld gereinigt werden muss.
    Es ist für die Verstorbenen daher nicht gleichgültig, wie wir unseren Glauben leben. Ein lebendiger Glaube, der Frucht trägt in tätiger Liebe, ist immer auch eine Stärkung und eine Freude für die, die mit uns unterwegs sind. Keiner lebt für sich allein, keiner glaubt für sich allein; wir sind einander geschenkt und anvertraut.

3. Ablass

  • Das ist es, worum es beim kirchlichen Ablass für die Verstorbenen geht. Die Denkfigur, in der das ausgedrückt wird, hinkt; sie kann und wird leicht missverstanden. Aber das Gemeinte ist deswegen nicht weniger wichtig. Wir Christen auf Erden leben unseren Glauben und unsere Liebe ausdrücklich in Gemeinschaft mit denen, die schon gestorben sind, mit denen wir aber in der einen Taufe und in dem einen Herrn Jesus Christus verbunden sind und verbunden bleiben.
  • Ich weiß, dass der kirchliche Ablass in der Geschichte vielfach zu Fehlentwicklungen geführt hat und ein Anlass für die Kirchenspaltung in der Zeit Martin Luthers war. Das heutige Fest Allerseelen aber ist ein Anlass, ans Licht zu holen, was in Vergessenheit zu gehen droht: dass der Ablass ein wunderbares Zeichen der Solidarität ist mit denen auf dem Weg von der Erde zum Himmel.
  • Das Lukasevangelium überliefert uns einen Satz, dass "im Himmel Freude herrscht über jeden Sünder, der umkehrt" (Lk 15,7). Mit dem Ablass hat die Kirche sozusagen für mich Sünder auf Erden eine Form und einen Anlass für diese Freude der Verstorbenen geschaffen. Sie lädt ein, an diesem Tag in tiefer, liebender Verbundenheit mit den Verstorbenen, die eigene Schuld zu bekennen, wo möglich das heilige Sakrament der Beichte zu empfangen, mit einander das Fest der Eucharistie zu feiern und so geprägt und gestärkt etwas von der Liebe verwirklichen, die im Himmel vollendet wird. Etwas mehr Liebe auf Erden, zur Freude und zum Trost derer, die im Purgatorium bereitet werden, in dieser Liebe vollendet zu werden. Amen.


Zum Thema Ablass siehe auch: 26 Thesen zum Ablass im Jubiläumsjahr 2000 von Martin Löwenstein SJ