Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig Lesejahr C 2004

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21. November 2004 - Frankfurt/Main

1. Herz und Verstand

  • Die Neurophysiologie kann heute sehr genau beschreiben, welche Teile des Gehirns an Entscheidungen beteiligt sind. Es ist mittlerweile sehr genau feststellbar, wo im Hirn Informationen aufgenommen und gespeichert werden. Faszinierend bunte Bilder zeigen, wo jeweils das Gehirn aktiv ist. Ebenso kann man zeigen, wo Emotionen entstehen. Das für manche vielleicht überraschende ist, dass gerade die wichtigsten Entscheidungen ohne Emotionen nicht gefällt werden können. Wo es nicht um abstrakte Berechnungen, sondern um Werte geht, entscheiden wir emotional.
  • Trotzdem braucht es den Verstand. Wir müssen Fakten erkunden und Gründe abwägen. Wir brauchen Maßstäbe, an denen wir unsere Entscheidungen messen. Denn die Emotionen, die uns das Hirn liefert, sind nicht vorgegeben, sondern die Form, in der unser Gehirn abspeichert, wie wir gewohnt sind zu entscheiden. Soll ich in betrunkenem Zustand Auto fahren? Will ich im Laden etwas mitgehen heißen? Die spontane emotionale Entscheidung hat eine Vorgeschichte bei uns. Aus der Gewohnheit, in die eine oder in die andere Richtung zu denken, werden emotionale Strukturen, nach denen wir entscheiden. Ganz offensichtlich gilt das auch für Entscheidungen, die nicht so eindeutig sind: Soll ich zu dieser Verabredung gehen? Soll ich mich um diesen Job bewerben oder jenen annehmen? Will ich in dieser Stadt studieren? Will ich heute Abend zum Gottesdienst gehen? Immer sind Bewertungen im Spiel. Sie sind als Emotionen gespeichert, haben aber eine lange Geschichte des Überlegens, der Abwägung und der Entscheidung.
  • Deswegen dürfen wir tief in uns dem Herzen vertrauen. Die Oberfläche des Herzens ist leichter trügerisch. Das merken wir, wenn wir Dinge tun, die wir schon kurz darauf bereuen. Aber in den tieferen Schichten unseres Herzens liegen wir erstaunlich oft richtig. Gerade hier spüren wir, wie viel uns andere Menschen mitgegeben haben, wie viel Gutes in unser Herz gepflanzt ist. Hier müssen wir uns aber auch unter Umständen klaren Verstandes eingestehen, wo wir uns angewöhnt haben, egoistisch und falsch zu entscheiden.

2. Macht über das Herz

  • Das Herz ist keine individuelle Veranstaltung. Die Sprache, die wir sprechen, teilen wir mit allen, mit denen wir uns in dieser Sprache unterhalten. Ebenso sind auch unsere Entscheidungen geprägt durch die Menschen, mit denen wir zusammen leben. Wahrscheinlich ist sich kaum einer von uns bewusst, wie stark wir aus diesen Zusammenhängen leben: den Menschen, mit denen wir sprechen, handeln und leben, den Handlungsmustern, die wir aus den Medien übernehmen, kurz: der Kultur, deren Teil wir sind.
  • Der Kampf um die Herzen ist eine Machtfrage. Die Werbeindustrie weiß das. Entsprechend milliardenschwer ist ihr Umsatz. Auch die beste Demokratie basiert darauf. Es braucht eine große Gruppe von Menschen, die eine Meinung teilt und eine politische Richtung unterstützt. Sonst ist die Demokratie handlungsunfähig. In der Mediengesellschaft setzt man dabei eher auf die Emotionen des Herzens als auf die Nüchternheit des Argumentes, weil die Erfahrung zeigt, dass dies den größeren Erfolg verspricht.
  • Wir müssen uns entscheiden, wem unser Herz gilt. Gerade wenn der Verstand dem Herzen nur in langen Perioden sein Siegel aufdrücken kann, sollten wir sorgfältig damit umgehen. Es geht dabei um unser Leben und um unsere Fähigkeit, gute Entscheidungen zu fällen. Ich bin ganz froh, dass Präsidenten und Kanzler nur begrenzte Amtsperioden haben. Christus aber nennen wir König. Das macht ihn für mich als Christ unausweichlich. Als Deutscher kann ich optimistisch die nächste Wahlperiode abwarten. Als Christ muss ich mich letztlich entscheiden, ob ich bleibe oder auswandere. Alles andere ist unredlich. Deswegen könnte man die Frage nach dem christlichen Glauben zuspitzen auf die Frage: Ist Christus dein König?

3. Ruf des Königs

  • Von welchem Ruf lasse ich mich locken? In den Exerzitien des Hl. Ignatius von Loyola nimmt die "Betrachtung vom Ruf des Königs" eine zentrale Stellung ein. In dieser geistlichen Übung sollen wir uns vorstellen, welche Idee, welche Perspektive und welchen Weg wir so faszinierend fänden, dass wir uns entscheiden könnten, ihn zu gehen. Ignatius, als Mensch des 16. Jahrhunderts, stellt sich dazu einen König vor, der seinem Ideal von Gerechtigkeit und Loyalität entspricht. Für uns mag es schwerer sein, sich ein solches Ideal vorzustellen. Ich denke aber, es ist möglich.
  • Diese Übung soll uns helfen, das Herz auszurichten. Denn um wie viel mehr als jedes irdische Ideal würde es lohnen, Christus zum König zu erwählen. Wenn wir wirklich glauben, dass Jesus Christus für all die Werte steht, die wir für richtig halten, dann sollten wir uns darin einüben, unsere kleinen und großen Entscheidungen danach zu befragen, ob diese zu Christus passen. Christ zu sein bedeutet, den Weg der Nachfolge zu gehen. Das ganze Leben an Christus auszurichten, könnte die entscheidende gute Angewohnheit sein, die wir den vielen schlechten Angewohnheiten entgegensetzen, die wir sonst so haben. Als Menschen mit Herz und Verstand kommen wir um diese Übung nicht herum: Zu sehen, welche Wertvorstellungen für uns verbindlich sind. Wer meint darauf verzichten zu können, wird gar nicht mehr merken, wie sehr er von anderen manipuliert wird.
  • Christus als König ist mehr als eine Metapher für ethische Leitwerte. Im Brief an die Kolosser schreibt Paulus: Gott wollte "alles im Himmel und auf Erden zu Christus führen". Und Paulus präzisiert: Gott will uns zu Christus führen, "der Friede gestiftet hat am Kreuz". Die Ohnmacht am Kreuz ist Voraussetzung dafür, dass wir fähig sind, mit diesem König den Frieden zu finden. Denn ohne ihn sind wir leicht in Gefahr, trotz allem doch wieder die Entscheidungen zu fällen, die um uns selbst kreisen und niemanden als uns nutzen. An der Seite des Königs, der bis zum Kreuz gegangen ist, werden wir frei, das zu suchen, was in der Liebe gründet und dem Frieden nützt. Selbst wenn es uns ans Kreuz brächte - in ihm ist Gott selbst an unserer Seite. Was also sollten wir fürchten, uns diesem König anzuvertrauen? Amen.