Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Pfingsten 2022

Zurück zur Übersicht von: Pfingstsonntag (A/B/C)

5. Juni 2022 - St. Peter, Sinzig

1.      Ein sympathisches Wunder

  • Alle hören sie in ihrer eigenen Sprache reden. Wer immer sich der Mühe unterzogen hat, eine fremde Sprache zu lernen, findet dieses Wunder sofort sympathisch. Statt Vokabeln und Grammatik büffeln: Heiliger Geist! Das wäre ein willkommenes Wunder. 
  • Doch, wer das in der Apostelgeschichte geschilderte Ereignis von Pfingsten in Jerusalem so versteht, hat nichts verstanden. Denn das Wunder besteht nicht darin, dass die Menschen irgendetwas Beliebiges in einer anderen Sprache verstanden hätten. Vielmehr heißt es ganz genau, dass die Menschen aus diesen vielen aufgezählten Sprachen und Kulturen die Apostel in ihrer jeweils eigenen Sprache "Gottes große Taten verkünden" hören. Das ist präzise der Inhalt, der sich von einer Sprache in die andere mitteilt. Für alles andere braucht es nach wie vor das mühsame Büffeln von Grammatik und Vokabeln.
  • Dennoch bleibt Pfingsten ein Wunder. – Ältere Christen bedrückt es sehr, dass es ihnen nicht gelungen ist, den Glauben an ihre eigenen Kinder und Enkel weiterzugeben. Das ist eine echte Not. Wenn ich selbst erlebt habe, wie wichtig die Beziehung zu Gott in meinem Leben war, dann ist es mir nicht gleichgültig, ob es gelingt, die Botschaft weiterzugeben an Menschen, die ich liebe.
    Doch warum scheitert das so oft? Ist es wirklich nur, dass die oberen Ränge der Kirche vielfach versagen? Oder ist es nicht auch eine Glaubensnot von uns allen? Und dass nicht erst, seit alle über kriminelle Machenschaften im Klerus sprechen, sondern schon ganz lange – der Abbruch der heilen Kirchenwelt begann doch schon vor Jahrzehnten (mindestens).

2.      Eine Sprache - Sprachenvielfalt

  • Zum Fest waren Pilger aus den erstaunlichsten Ländern nach Jerusalem gekommen. Sie alle brachten Sprache und Prägung aus diesen Ländern mit. Das Wunder von Pfingsten war offenbar, dass die Predigt der Apostel bei denen, die ihnen zuhörten, zum Schwingen brachte.
    Jeder Mensch hat im Laufe des Lebens Erfahrung die an die Gegenwart Gottes heranrühren. Häufig sind es Erfahrungen von Verlust, es kann aber auch das Erlebnis der Schönheit oder die Geburt eines neuen Lebens sein.
  • Früher war es letztlich so, dass dafür eine einzige Sprache zur Verfügung stand. Diese hatte man in der Kirche gelernt. Wenn es nicht mehr der Gottesdienst war, war es bei evangelischen Christen noch lange Johann Sebastian Bach oder Psalm 23, an den man sich erinnert. Katholiken haben die Gerüche und Klänge, in denen sie groß geworden sind. Die Menschen hatten die Fähigkeit, die Sprache der Bibel und der Liturgie in sich lebendig werden zu lassen, weil sie mit den eigenen Erfahrungen verbunden war. Es war die Sprache des Glaubens. Aber eben letztlich nur eine einzige Sprache.
  • Was wir heute übersehen ist, dass den Menschen weitaus mehr als eine Sprache zur Verfügung steht um das auszudrücken, was sie erleben. Internet und Fernsehen, Filme und Bücher über Kulturen der ganzen Welt, Lieder und Dichtung, Begegnung mit Menschen aus fernen Ländern: deren Not und deren Hoffnung, deren Vertrauen und Religion. Das ist eine ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten, Sprache zu finden für das, was auch meine eigene Erfahrung ist. Es stimmt nicht dass man religiöser Analphabet ist, wenn man die biblisch-kirchliche Sprache nicht kennt. Es gibt andere. Viele andere.

3.      Die vielen Sprachen hören

  • Pfingsten wiederholt sich nicht dann, wenn es uns gelingt, alle anderen Sprachen zurückzudrängen, dass nur noch die Sprache der Bibel und der Kirche gilt. So hat Pfingsten auch damals nicht funktioniert. Vielmehr heißt es doch ausdrücklich, dass die Menschen gehört haben wie die Apostel Gott in den vielen verschiedenen Sprachen gelobt haben.
  • Pfingsten geschieht also, wenn wir diese Sprachen lernen. Nicht die Grammatik, nicht die Vokabeln. Vielmehr reicht es, die Menschen, mit denen wir zusammenleben und die durch vielerlei Schicksal zu uns kommen, zu fragen was sie erlebt haben. Zu fragen was ihnen wichtig ist. Geduldig zuzuhören und nicht alles zurückzuschneiden auf das, wie es bei mir in mein Schema passt.
  • Pfingsten geschieht dann, wenn ich merke, in wie vielen verschiedenen Weisen Gott zu den Menschen spricht. Probieren Sie das direkt aus an den Enkeln, die nicht mehr zur Kirche gehen. Versuchen Sie nicht Ihre Sprache durchzusetzen, sondern hören Sie geduldig zu und entdecken Sie den Heiligen Geist in dem, was diese Enkel erleben und wie sie darüber sprechen. Interessieren Sie sich für deren Lieder.
    Dann könnte so etwas wie Pfingsten sich ereignen, auch wenn das Wunder nicht darin besteht, dass danach unsere Kirche wieder voll ist, sondern dass wir einander verstehen. Dass wir verstehen, in wie vielen Sprachen Gott gelobt wird – und einstimmen mit unseren Liedern.