Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 1. Fastensonntag Lesejahr A 2020 (Genesis)

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1. März 2020 - KHG, St. Remigius Bonn

1. Hautnah

  • Sollten Liebende alles von einander wissen? Weniger allgemein gefragt: Müssen Sie von dem Menschen, den Sie lieben, alles wissen - oder wissen können, und ist es Ihnen umgekehrt wichtig, dass wer Sie liebt, alles von Ihnen weiß? Wie auch immer die Antwort sei: Behalten Sie sie um Gottes Willen für sich. Denn die Antwort "Nein, alles soll sie (oder er) nicht wissen", würde unweigerlich die Frage auslösen: Und was verheimlichst Du vor mir?
  • Der Blick auf den Grund führt nicht in graue Vorzeit. Der Sündenfall, den Adam und Eva miteinander begehen, ist nicht Blick in die Geschichte, sondern auf den Grund des menschlichen Herzens. Es ist unsere Geschichte, die das Buch Genesis erzählt. Unsere je eigene Geschichte, Menschen, die wir sind.
  • Der Sündenfall heißt: Sein wollen wie Gott. Alles hat der Mensch im Garten Eden, Früchte in Hülle und Fülle. Verlockend aber ist es, auch noch von dem einen Baum zu essen, dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Denn erst, so flüstert die Schlange, wenn Du alles probiert hast, kannst Du selbst bestimmen, was gut ist und was böse.

2. Sterben

  • Ist die Frage einmal gestellt, dann scheint der Sog unaufhaltsam: Warum sollte ich nicht alles wissen? Warum sollte ich nicht bestimmen, was gut und böse ist? Warum soll ich von dem einen Baum nicht essen und mich mit allen anderen Bäumen zufrieden geben? Wer sollte mir das verbieten - außer einem Gott, der Angst hätte, dass ich ihm seinen Platz streitig mache.
  • Aber Gott hat nicht verboten. Wenn wir uns Gott als Gesetzgeber vorstellen mit der Willkür eines Bundesfinanzministers, werden wir weder die Bibel verstehen, noch uns selbst. Gott hat nicht verboten. Er hat dem Menschen nur nüchtern gesagt: Wenn Du von diesem Baum isst, musst du sterben. Von diesem Baum zu essen ist für das Leben so tödlich wie für die Liebe die Frage: Sollten wir von einander alles wissen.
  • Im Garten Eden wohnte der Mensch zu Gott in vertrauter Nähe. Dies wird anschaulich geschildert, wenn Gott um die Zeit des kühlen Mittagswindes spazieren geht. So selbstverständlich könnte die Nähe zu Gott sein. Doch Adam, der Mensch, beginnt sich vor Gott zu verstecken.

3. Blick

  • An die Stelle der vertrauten Nähe ist das Misstrauen getreten. Der Mensch hat entdeckt, dass er nackt ist - und sie schämen sich vor einander. Der Mensch hat entdeckt, dass er schuldig ist - und sie schieben einander die Schuld zu. Aus der Selbstherrlichkeit, die nichts vertraut, die alles selbst probiert haben muss und alles selbst wissen muss, aus dieser angemaßten Selbstherrlichkeit ist die Ursünde gestrickt.
  • Der Abschnitt aus dem Buch Genesis, der heute als Lesung vorgetragen wurde, hat keine "Pointe" und bietet keine Auflösung. Es ist ein Abschnitt aus dem Blick, den die ersten Kapitel der Bibel auf den Grund dieser Welt werfen. Wie so oft ist die Bibel in diesem Blick ebenso präzise wie nüchtern: So ist es!
  • Daher sollten auch wir zu Beginn der Fastenzeit diese Stelle in ihrer kurzen Auswahl stehen lassen. Es ist die erste Übung der Vorbereitung auf Ostern, nüchtern zu sehen, wie präzise in diesem Stück der Heiligen Schrift beschrieben ist, worüber auch ich immer wieder stolpere. Wie steht es um mein ursprüngliches Vertrauen in Gott? Der Weg zur ursprünglichen Naivität des Gartens Edens ist ein für alle Mal versperrt. Sollten Liebende alles von einander wissen? Die Frage, einmal gestellt, ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Mit seiner Antwort ist der Mensch gescheitert. Ein anderer nur, könnte uns Antwort sein. Amen.