Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 1. Fastensonntag Lesejahr B 2012 (Genesis)

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26. Februar 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Inseln der Sicherheit

  • Jahrtausende lang haben sich die Menschen die Welt so vorgestellt: Die Erde ist eine Insel im wogenden Chaos des Wassers. Das Blau im Blick auf den Ozean und das Blau im Blick zum Himmel legt die Theorie nahe, dass beides Wasser ist. Dazwischen liegt unser Lebensraum und ist immerfort gefährdet. Das Wasser von oben wird durch das Firmament zurück gehalten, das nur den Regen durchlässt. Das Wasser der Meere wird durch die Küsten begrenzt, kann sich aber jederzeit aufbäumen und seine Grenzen überschreiten. Tsunami nennen wir das heute. In dem Raum dazwischen leben wir Menschen, hoffen dass es gut geht und wissen doch um die Gefahr.
  • Wir könnten uns beruhigt zurück lehnen. Denn wir wissen, dass das Blau des Himmels durch Lichtbrechung entsteht, haben Flutmauern gebaut und arbeiten sogar an einem Tsunamifrühwarnsystem. Als aufgeklärte Menschen müssen wir nicht fürchten, dass das Firmament zusammenbricht und uns unter Wassermassen begräbt. Das alles wissen wir. Das alles könnte uns beruhigen zu sagen: Die Ängste früherer Zeiten sind durch Wissenschaft gezähmt.
  • Und dennoch! Unter der dünnen Schicht beruhigenden Wissens kann die alte Angst hervorbrechen, dass die Welt, wie wir sie kennen, zusammenbricht. Vielleicht sind es nicht die kosmischen Katastrophen, nicht zerstörerische Kometen, nicht Naturkatastrophen, vielleicht noch nicht einmal Atomkrieg oder Fukushima. Noch nicht einmal die Brüchigkeit des weltweiten Finanzsystems raubt uns Durchschnittsbürgern den Schlaf. Und dennoch ist unsere Welt gefährdet: All das, was wir versuchen, uns an Sicherheiten aufzubauen, kann zusammen brechen. Wer von uns wäre schon vorbereitet darauf , dass der Arzt uns eine tödliche Krankheit diagnostiziert, oder dass Menschen, die uns lieb sind, von einer harmlosen Kreuzfahrt nicht zurück kehren? Wie sicher bin ich mir der Treue in meiner Familie oder in meinem Freundeskreis? Wir wissen, dass keine Sintflut die Erde überschwemmen wird. Dennoch ist unser Leben heute ebenso wie früher auf einen Flecken fester Erde gebaut und keineswegs abgesichert gegen das Chaos ringsum.

2. Die große Flut

  • Die Erinnerung an eine große Flut findet sich in zahlreichen frühgeschichtlichen Kulturen. So schildern es etwa der aus dem babylonischen Raum kommende Gilgamesch-Epos oder auch die sumerische Königsliste 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Man kann vermuten, dass sich gigantische Überschwemmungen vom Ende der letzten Eiszeit tief in das kulturelle Gedächtnis der Völker eingegraben hat. Neuere Theorien halten es für möglich, dass das heutige Schwarze Meer durch einen Durchbruch des Bosporus entstanden ist, und dass Wasser aus dem Mittelmeer in kurzer Zeit weite Landschaften unter sich begraben hat.
  • Auch die anderen alten Erzählungen berichten von der Flut und einer Rettung nur Weniger. Sie erinnern daran, dass das Unheil jederzeit über die Menschen kommen kann. Was uns bleibe sei nur zu hoffen, dass der Untergang der Welt nicht bald schon komme. Denn das Unglück komme aus dem Nichts und werde alles unter sich begraben.
  • Genau in diesen beiden Punkten widerspricht jedoch die Bibel. Auch sie bewahrt die Erinnerung an die Flut und die Arche. Aber die Bibel setzt zwei entscheidende Akzente:
    • Für sie kommt das Unglück nicht aus dem Nichts, sondern aus der Ungerechtigkeit der Menschen; nicht nur die Flut sieht die Bibel, sondern dass zuvor "auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war."
    • Und am Ende der biblischen Erzählung steht nicht das bange Warten, ob das Unglück nicht wohl doch wiederkomme, sondern das Vertrauen in die Zusage Gottes: "Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten. So lange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
  • Gott sieht die Ungerechtigkeit und er heißt er sie nicht gut. Aber er lässt sich und seine Schöpfung nicht von ihr besiegen. Nicht mit Unrecht bekämpft Gott das Unrecht, sondern indem er im Bund mit Menschen eine neue Geschichte beginnt.

3. Das Opfer für Gott

  • Wir haben als Lesung heute die ältere von zwei Fassungen der Sintflutgeschichte gehört. In der Bibel sind heute beide in einander verwoben; die jüngere wurde um 400 vor Christus aufgeschrieben, die ältere aber schon ein halbes Jahrtausend früher. Diese berichtet von dem Opfer, das Noach darbringt. Sieben Paare von jedem reinen Tier hatte er in der Arche gerettet. Nach dem Ende der Flut baut er einen Altar und bringt Gott das Opfer dar.
  • Dies ist für die Bibel die Antwort des Menschen auf die Rettung. Noach ist ein Urbild des Menschen, der erfahren hat, dass Gott allein Leben schenkt. Daher hält er es nicht fest, sondern bringt es Gott dar. Diese Haltung nennt man 'fromm'. Noach weiß, dass er das Leben nicht als Raub und Besitz festhalten kann, ohne es zu verlieren. Er weiß dass er zu Gott hin loslassen kann, um das Leben zu gewinnen.
  • Damit steht dieser Text zu Recht am Beginn der Fastenzeit. Es sollen vierzig Tage sein, in denen wir einüben loszulassen, um das Leben zu gewinnen. Die Erde und alles, was wir haben, ist uns nur anvertraut, auch unser eigenes Leben. Ohne Gott wäre es heillos den Urgewalten ausgeliefert, wie eine fragile Insel zwischen den Wassermassen. Noach jedoch stellt sich mit beiden Beinen auf den festen Grund der Erde und bringt Gott das Opfer dar. Keine Urgewalt wird es Gott entreißen. Wir sind in seiner Hand. Amen.