Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr B 2003 (Genesis)

Zurück zur Übersicht von: 2. Fastensonntag (B)

16. März 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Was bedeutet das?

  • Wenn jemand mir etwas zu erklären versucht, dann ist es sehr berechtigt, wenn ich frage: "Was bedeutet das, was Du da sagst?". Warum also sollten wir nicht auch hier, beim Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel, nicht nachfragen: "Was bedeutet diese Geschichte, die wir da gehört haben?"
  • So klar ist das doch nicht, wenn uns da erzählt wird, Gott habe den Abraham auf die Probe gestellt, ihm zugemutet den eigenen Sohn zu opfern. Frühmorgens nach dieser nächtlichen Vision hat sich Abraham aufgemacht. Mit seinem Sohn an der Seite geht er dort hin zum Berg im Lande Morija. Sie gehen zusammen, Vater Abraham und Isaak, sein Sohn. Dort bereitet Abraham einen Altar, dort hebt er das Messer zu einem blutigen Opfer.
    Was soll das, was bedeutet das? Warum diese Probe? Was verändert sie? Und warum greift Gott dann ein, unterbricht das Opfer durch seinen Engel?
  • Generationen um Generationen hatten diese Geschichte erzählt, bevor sie in der uns bekannten Weise aufgeschrieben wurde. Und jede Generation hatte ihren Glauben ausgedrückt und wiedergefunden in der Weise, wie sie erzählt haben von ihrem Stammes-Patriarchen Abraham und seinem Sohn Isaak. Die Erfahrung Abrahams wurde einen ganzem Volk zum Symbol. Das ist der Grund, warum dieser Text noch heute spricht. In ihm ist Erfahrung zum Symbol geworden. Wie zu allen Zeiten kann dieses Symbol im Zusammenhang des Glaubens gelesen werden - und von jeder Generation und jeder Kultur neu verstanden werden.

2. Abraham und Isaak

  • Um eines sogleich auszuschließen: Abraham ist nicht bereit, den eigenen Sohn zu opfern, um damit selbst aus dem Schneider zu sein. Das blieb den Schlachtfeldern späterer Kriege vorbehalten, in die nationalbegeisterte Väter ihre Söhne schickten. Abraham schickt nicht billig den Sohn vor. Nein, die Zumutung des Opfers geht Abraham näher als alles andere. Sein Sohn ist die Verheißung seines Lebens, sein ein und alles. Auch heutige Väter mögen mit erzeugerstolz-geschwellter Brust auf ihren Zögling sehen. Für einen wie Abraham jedoch zu biblischer Zeit ist der Sohn und die Nachkommenschaft mehr. Er ist so etwas wie der Inbegriff dessen, wofür es sich zu leben lohnt, seine Seele, seine Zukunft, der wichtigste Teil seiner selbst. Sein Leben ist von dem seines Sohnes nicht zu trennen.
  • Issak war dem Abraham und seiner Frau Sara im hohen Alter als Sohn und Nachkomme verheißen worden - zu einer Zeit, als die beiden in ihrem Realismus schon alle Hoffnung aufgegeben hatten, dass sich die Verheißung erfüllt, um derer willen Abraham einst aufgebrochen war. Dann kam aber doch noch der ersehnte Sohn und Erbe. Alle Erwartung, alle Hoffnung liegt auf ihm. Der arme Sohn!
    Die Zärtlichkeit, die aus der kurzen Szene zwischen Abraham und seinem Sohn spricht, klingt so gar nicht nach einem Patriarchen. Vielleicht hat der Befehl Gottes, diese seine einzige Hoffnung aufzugeben, in Abraham auf einmal in seinem Sohn mehr sehen lassen, als nur den Erben und den Garanten der Nachkommenschaft? Die Probe, auf die Gott den Abraham stellt, verändert seine Vaterrolle.
    [Zum Vergleich findet man dieselbe Thematik im Buch Tobit, in der der Dämon des Vaters Raguel die Tochter nicht hergeben kann.]
  • Was ist mit Isaak, dem Sohn? Er spürt die Kraft seines Vaters. Er vertraut dem Vater, als dieser mit ihm loszieht, ein Opfer darzubringen, obwohl sie doch gar kein Opfertier bei sich hatten. Isaak geht mit seinem Vater und entdeckt in diesem bedrückt neben ihm gehenden alten Mann eine Kraftquelle, die ihm unheimlich ist und zugleich beeindruckend: Da geht einer, der seine ganzen Pläne und Sicherheiten aufgeben kann, wenn Gott ihn ruft.

3. Väter und Söhne

  • Was im Vatersymbol verstanden wird, ist nicht auf Väter beschränkt. Gerade in Zeiten der abwesenden Väter sind es die Mütter, die ihren Kindern schlechte Väter sind. Da laden Menschen die Zukunft ihren Kindern auf. Alle Enttäuschungen und Entbehrungen des eigenen Lebens müssen ausgetragen werden von den Kindern. Der Sohn muss Sohn seines Vaters sein, ihn mit Stolz erfüllen. Und wenn es nicht das leibliche Kind ist: jeder von uns hat seine Projekte und Vorlieben, für die wir andere einspannen - und aufopfern.
    Dem gegenüber setzt Gott die Zumutung, all das aufzugeben. Als Abraham dachte, jetzt alles zu haben, was er sich gewünscht hatte, fordert ihn Gott auf, wieder frei zu werden, neu anzufangen. Nicht seinen eigenen Plänen und Hoffnungen sollte Abraham seinen Sohn opfern, sondern Gott. Hier erst sieht Abraham, dass Isaak mehr ist als nur Instrument seiner Pläne.
  • Keinem von uns wird vorhin, beim Hören der Lesung, vor Spannung der Atem gestockt haben, dass wir gewusst oder geahnt haben, es würde nicht zum Äußersten kommen. Doch die Erzählung lässt das Ende lange offen. Sie lässt den Ernst des Abraham spüren. Damit lässt sie etwas spüren von einem Vater, der mehr ist als "Erzeuger" und "Ernährer". Abraham ist ein Vater mit Glauben an mehr als nur sich selbst. Das mag neidisch machen: Einen Vater zu haben, der zu solchem Glauben fähig ist! Viele haben nie einen Vater zu Gesicht bekommen und viele haben nie einen Vater gespürt, der wirklich für etwas einsteht. Isaak weiß nicht, wohin die Reise geht. Er spürt aber die Stärke, die sich vom Vater auf ihn überträgt. Man ahnt, warum das Volk Israel und die Bibel diesen Abraham zum Stammvater erklärte. Er ist ihnen Symbol des Glaubens, der Väter verändert.
  • Nicht um Psychologie geht es der Bibel. Abraham und die anderen sind exemplarische Gestalten des Glaubens. Deswegen kann sich in der Auseinandersetzung mit ihnen auch unser Glauben und unser Gottesbild verändern. Es beginnt damit, dass Glaubenserfahrungen es ermöglichen, anders "Vater" oder "Sohn", "Mutter" oder "Tochter" zu sein. Es hilft uns loszulassen und es hilft uns, uns einer Vision anzuvertrauen. Zugleich führen uns diese Erfahrungen dahin, dass wir den mütterlichen und den väterlichen Gott entdecken, den die Hl. Schrift verkündet. Amen.