Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr C 2007 (Lukas)
Zurück zur Übersicht von: 2. Fastensonntag (C)
4. März 2007 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Merkenswertes
- Die Transversalitätsbedingungen einer Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung
hätte ich Ihnen noch vor wenigen Jahren darlegen können. Leider
habe ich sie mittlerweile vergessen. Sie werden das im Hinblick auf das wissenschaftliche
Niveau der Predigt bedauern. Aber es gibt Dinge, die vergesse ich, weil ich
ein schlechtes Gedächtnis habe.
- Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte ich eine einleuchtende Erklärung,
warum Jesus am Kreuz leiden und sterben musste. Auch das kann ich Ihnen heute
nicht mehr erklären. Das allerdings nicht, weil ich Fakten oder Details
vergessen hätte. Vielmehr gibt es Momente des Verstehens, die sich nicht
wiederholen und nicht festhalten lassen.
- Manche Dinge kann man präzis sagen. Die Antwort ist richtig (oder falsch)
und in jeder Situation wiederholbar wird sie genauso richtig (oder falsch)
sein. Die Transversalitätsbedingungen einer Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung
mögen dazu gehören. Für so manche volkswirtschaftliche Analyse
ist dies hilfreich, vielleicht sogar unentbehrlich. Aber selbst für einen
Wirtschafts-Nobelpreisträger ist eine andere Art Antworten letztlich
wichtiger: Jene Antworten, die sich nicht festhalten lassen, die wir immer
wieder neu suchen müssen, indem wir die Frage neu stellen.
2. Unerklärliches
- Petrus "wusste nicht, was er sagte". Er versucht eine Erfahrung
festzuhalten, die er vorne und hinten nicht versteht. Wir bekommen die Situation
nur in der Fassung zur Kenntnis, die versucht, in vielen Anspielungen und
Symbolen verstehbar zu machen. Wenige Abschnitte im Evangelium sind so deutlich
symbolisch zu lesen wie das Evangelium von der Verklärung Jesu auf dem
Berg.
- Um es in einzelnen Schritten noch mal in den Blick zu nehmen.
- Nach der ersten Ankündigung seines Leidens wählt Jesus drei
seiner engsten Freunde aus und nimmt sie mit auf eine Berghöhe, wo
er betet. Die drei aber waren eingeschlafen.
- "Während er betete" geschehen zwei Dinge: Im Gebet wird
an Jesus die Herrlichkeit Gottes sichtbar und in diesem Licht "werden
sichtbar" Mose und Elija, also Gesetz und Propheten des Alten Testamentes.
Und zwar auch diese in der Herrlichkeit Gottes, strahlendem Licht.
- Das 'Thema' zwischen Jesus und dem Alten Testament ist Jesu "Ende,
das sich in Jerusalem erfüllen sollte". Der Ausgang, den die
Sache nimmt, gerät bei all dem herrlichen Glanz in den Blick, als
Erfüllung der ganzen Heiligen Schrift.
- Nun erst wachen die Jünger auf. Petrus bekommt alles nur halb
mit und will schnell tätig werden: "Hütten bauen",
um festzuhalten, zu bewahren, zumindest in Hütten.
- Dann aber findet der Text eine Beschreibung, die zeigt, wie unsinnig
die Idee des Petrus ist: Denn, ja, sie 'hören' die Stimme Gottes,
die ihnen sagt, auf Jesus zu hören. Aber all das im Schatten, ja
inmitten einer Wolke, die ihnen Angst macht.
- So bleiben sie am Ende allein, unfähig zu sagen, was sie erlebt
haben. Mit Jesus allein gehen sie mit ihm mit nach Jerusalem. Erst wenn
Petrus seinen Herrn dreimal verleugnet, wird er beginnen zu verstehen.
- Am Schluss heißt es "Die Jünger schwiegen jedoch über
das, was sie gesehen hatten, und erzählten in jenen Tagen niemand davon."
Was auch hätten sie erzählen können? Irgendwie haben sie erlebt,
dass in Jesus Gottes Herrlichkeit aufscheint. Irgendwie haben sie erlebt,
dass Jesus "im Gespräch" ist mit Gesetz und Propheten. Erst
der Auferstandene wird den beiden unterwegs nach Emmaus darlegen, "ausgehend
von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben
steht" (Lk 24,27). Irgendwie haben sie erlebt, dass sie das Entscheidende
verschlafen haben und Gott nicht im Licht, sondern in der verhüllenden
Wolke begegneten. Viele Irgendwies, die sich nicht festhalten lassen, nicht
in Hütten, nicht in Buchdeckeln.
3. Erneuertes
- Das Evangelium von der Verklärung bleibt ein Geheimnis. Ein Geheimnis
im Glauben ist etwas, das da ist und wirksam, das aber nie voll ausgeschöpft
werden kann. Ein Geheimnis ist nicht geheim, im Sinne von unbekannt. Es ist
nur nie zu erschöpfen. Eine dunkle Wolke und zugleich eine Quelle des
Lichts. Ein Geheimnis des Glaubens.
- Die Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung hat nichts Subjektives. Sie hat
die nüchterne Objektivität einer mathematischen Methode. Empirische
Fakten sind schon mehr der Diskussion zugänglich. Aber letztlich geht
es auch dort um das nachprüfbar, wiederholbare Intersubjektive. Im christlichen
Glauben und in der Bibel aber geht es um Ereignisse und Zusammenhänge,
die sich nur realisieren in der Begegnung, von Subjekt zu Subjekt, von Mensch
zu Gott. Die Formulierung von Dogmen kann dabei Halt geben und sinnvoll Grenzen
ziehen. Auch der Glaube gehört in den rationalen Diskurs. Aber in seiner
Lebensrelevanz muss er immer neu erschlossen werden.
- Wenn ich letztes Jahr noch gewusst habe, was der Sinn meines Lebens ist,
und dieses Jahr nicht mehr, dann liegt das (diesmal) nicht an meinem schlechten
Gedächtnis. Es liegt daran, dass mein Leben in Bewegung ist. Hoffentlich!
Und in immer neuen Anläufen muss ich auf den Berg gehen, muss das Gespräch
mit Mose und Elija suchen, mit Gesetz und Propheten und Evangelium und Glaubenstradition,
muss erfahren, dass es sich nicht festhalten lässt - und werde dennoch,
mitten in der Wolke wieder spüren und erfahren, was die Stimme aus der
Wolke über Jesus sagt: "Das ist mein auserwählter Sohn, auf
ihn sollt ihr hören."