Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Fastensonntag Lesejahr B 1997 (Johannes)

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15./16. März 1997 - Pfarrei St. Marien, Viernheim

Hinweis: Dies ist der Text einer Gastpredigt in einer Gemeinde, aus der ein Mitbruder im Jesuitenorden stammt, der kurz darauf zum Priester geweiht werden soll.

1. Das Weizenkorn muss nicht allein bleiben

  • Das Wort vom Weizenkorn, das in die Erde fallen und sterben muss, hat für manche einen morbiden Beigeschmack. Hier liegt, möchte man meinen, eine Aufforderung zum Selbstmord vor. Zumindest aber scheint hier eine Missachtung des Lebens durchzuscheinen, die nicht wenigen als typisch für ein traditionelles Christentum vorkommt. Ebenso unverständlich ist daher grundsätzlich das Bild des Kreuzes. Sollte man doch lieber tanzende Kinder statt den am Kreuz Gehenkten zum Sinnbild des christlichen Glaubens machen.
  • Im Text des Johannesevangeliums wird das Bild vom Weizenkorn aber in einem ganz bestimmten Sinn gebraucht: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, dann bleibt es allein.
    Dies kann uns eigentlich schon eher an die Nieren gehen. Erfahrungen von "allein bleiben" machen Menschen Tag für Tag; vielleicht gehört es zu den Ur-Erfahrungen und den Ur-Ängsten: allein zu sein.
  • Einsamkeit könnte eine der treffensten Beschreibungen für das Gefühl vieler Menschen aller Generationen sein.
    Nicht ohne Zufall ist die Einsamkeit im Alter besonders spürbar. Denn all das, was andere Generationen machen, um die Einsamkeit zu verdrängen, geht nicht mehr so leicht.
    Aber auch, wer zu wenig Geld hat, um sich die Verdrängung der Einsamkeit zu erkaufen, wer keine Arbeitsstelle hat, die seinem Leben einen Bezugspunkt gibt, erlebt Einsamkeit.
    Und wie sehr verbindet letztlich das Geld, mit dem sich andere Gemeinschaft erkaufen. Stellen Sie sich in die belebte Fußgängerzone und erleben Sie, wie einsam man unter vielen, vielen Menschen sein kann, wenn man kein Geld hat um mitzumachen beim großen Massenerlebnis "Einkaufen".
    Vielleicht könnte es dieser Hinweis auf das Schicksal der Einsamkeit einem Wort leichter machen, gehört zu werden, das Heilung verspricht: Das Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, muss nicht allein bleiben.

2. Das Leben ist dazu berufen, sich zu verlieren um es zu gewinnen

  • Das Johannesevangelium macht aber gleich im nächsten Satz unsere Bereitschaft zuzuhören zunichte. Ganz paradox wird gesagt: Wer an seinem Leben hängt, verliert es.
    Wir werden aber nicht aus freien Stücken aufgefordert, alles bleiben zu lassen. Das Evangelium ruft vielmehr: schaut hin, macht die Augen auf! Merkt Ihr nicht, wie Euch das Leben zwischen den Fingern wie Sand durchrieselt, je verzweifelter Ihr es festhaltet.
    Wir wissen es, aber wir leben nicht danach. Reicht die Erinnerung an den morgendlichen Kater nicht einmal bis zum selben Abend? Wer an seinem Leben hängt, verliert es.
  • Als Kirche sind wir berufen, den Weg zu gehen, auf dem wir nicht festhalten an uns, sondern loslassen.
    Mit einem alten Wort nennt man das Berufung: Berufung bedeutet, aus etwas herausgerufen zu werden - zu sterben -, um ein neues Leben zu finden.
    Dabei ist entscheidend, dass jeder Mensch eine Berufung hat; manche hören ihre Berufung nicht - aber sie haben eine; anderen kommt ihre kleine Berufung zu schäbig vor, als ob es das gewesen sein könnte.
    Eine Berufung kann in Ihrem Beruf ebenso liegen wie in Ihrer Aufgabe als Vater oder als Mutter. Soziale oder kirchliche Berufe sind nicht bessere Berufungen als Berufe in der Industrie, im Handwerk, im Büro, in der Dienstleistung. Auch Arbeitslosigkeit ist ein Schicksal, mit dem ich mich auseinandersetzen muss: welche Berufung liegt darin?
    Ich kenne eine Frau, deren schwere Berufung es war, für viele Jahre ihre todkranke Mutter zu pflegen. Andere finden in ihrer Aufgabe bei der Feuerwehr ihre Berufung. Es kann ebenso eine Berufung sein, mit einer Krankheit zu leben als ein großes musikalisches Talent einzusetzen.
  • Das Entscheidende, was all dies im christlichen Sinn zur Berufung macht, ist, dass wir nicht für uns selbst berufen sind, sondern füreinander. Berufung ist das einzige Heilmittel gegen die tödliche, unfruchtbare Einsamkeit.
    Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn (Röm 14,7f).

3. Eine Berufung zum Priester aus dieser Pfarrgemeinde

  • Geistliche Berufe sind nur eine Berufung unter vielen. Im Leben der Kirche mögen sie besonders augenfällig sein. Sie sind unentbehrlich für die Kirche. Genauso unentbehrlich wie die anderen Berufungen.
    An den geistlichen Berufungen - zur Ordensschwester, zum Priester oder zum Ordensmann - wird aber eines besonders deutlich: Sie sind nur möglich und lebbar, wenn eine Kirche und eine Gemeinde sie will.
    In der Ehelosigkeit, dem Verzicht auf Besitz und dem Gehorsam gegenüber der Sendung der Kirche versuchen einzelne Menschen für und mit der ganzen Kirche ihr Leben einzusetzen. Ohne Sie als Gemeinde, als Kirche, die dieses Lebenszeugnis bejaht, bleibt der geistliche Beruf so einsam wie alle anderen Berufungen, die wir nicht gemeinsam als Kirche tragen.
  • Denn Besitzlosigkeit und Zölibat sind nie und nimmer eine private Übung der Priester und Ordensleute. Es ist ein Zeichen der ganzen Kirche, jeder Gemeinde und jedes Christen, der in der Kirche lebt. Die Kirche als Ganze muss die Ehelosigkeit in ihr wollen und stärken und fördern, weil wir damit alle zusammen die Enge aufsprengen, jene Enge, in der die vielen Menschen gefangen sind, Menschen, für die Erfüllung eingezwängt ist in den Raum unserer kurzen Geschichte.
    Ich kann nicht Priester sein, niemand kann Pfarrer oder Bischof oder Papst sein aus sich selbst und für sich selbst. Karriere macht man woanders. Nichts macht das so deutlich wie das zeichenhafte ehelose Leben und eine Kirche die dieses Zeichen in ihrer Mitte will und einfordert. Eine solche Gemeinschaft zeigt und bekennt, dass das menschliche Heil nicht die Erfüllung und hier und jetzt braucht, ja Erfüllung hier und jetzt nie erreichen wird.
  • Nutzen Sie die Gelegenheit, dass einer aus Ihrer Mitte zum Priester geweiht wird, zu einem Schritt als Gemeinde gegen die Einsamkeit, in der wir einander so oft stehen lassen.
    Durch Ihr Gebet und Ihre Haltung zur Kirche können Sie deutlich machen: Deine Berufung ist von uns getragen und gewollt. Wir hoffen mit Dir, wir beten mit Dir, wir trauern mit Dir, wenn Du scheiterst und wir freuen uns mit Dir, wenn Dein Leben zu einem Zeichen des gemeinsamen Glaubens wird.
    Das kann für Sie ein Ausgangspunkt sein, um nicht nur mit Clemens, nicht nur mit Ihrem Pfarrer, nicht nur mit den Schwestern von der Maria-Waard-Kindertagesstätte (in Viernheim), sondern um mit jedem aus Ihrer Pfarrei die Berufung zu teilen: Du bist nicht nur für Deine Familie Mutter oder Vater, sondern für uns alle; Du bist nicht nur für Dich selber alt und krank, sondern für uns alle; Du bist nicht nur für Dich selber in diesem oder jenen Beruf oder arbeitslos, sondern für uns alle.
    So verstehe ich es: sich einsenken als Weizenkorn in die Erde der Kirche, um miteinander zu leben. Amen